„Das Glück des Lebens wird von der Beschaffenheit der Gedanken bestimmt.“
Marc Aurel

Der römische Kaiser Marc Aurel hatte natürlich völlig Recht, wenn er die Bedeutung unserer Gedanken und Gefühle für unsere Psyche betont. Mindestens ebenso wichtig sind aber auch materielle Aspekte für unser Wohlbefinden. Einer dieser Stoffe, die mit darüber entscheiden, wie gut es uns geht, ist das Hormon Serotonin.
Serotonin (5-Hydroxytryptamin, s. Abb. 1) ist ein Botenstoff u.a. des zentralen Nervensystems, des Darm-Nervensystems und des Herz-Kreislauf-Systems. Vom Namen her leitet es sich von Serum und Tonus ab, d.h. es ist ein Botenstoff im Serum, der den Druck der Gefäße beeinflusst. In der Lunge und den Nieren führt es zu einer Gefäßverengung, in der Skelettmuskulatur hingegen zu einer Gefäßerweiterung. Die große Bedeutung von Serotonin wird durch die Tatsache unterstrichen, dass beim Menschen allein 14 verschiedene Serotoninrezeptoren existieren, die in den unterschiedlichsten Organsystemen (z.B. Gehirn, Dünndarm, Gefäße, Lunge, Blutplättchen) für die Steuerung verschiedener physiologischer Funktionen verantwortlich sind. In der Evolutionsgeschichte ist Serotonin ein uralter, universeller Botenstoff, der sich schon bei den einfachsten Lebewesen findet.

Serotonin

serotonin molekülSerotonin wird aus der Aminosäure L-Tryptophan über die Zwischenstufe 5-Hydroxytryptophan gebildet (s. Abb. 3). Es wird vom Enzym MAO (hat nichts mit dem chinesischen Parteivorsitzenden zu tun, sondern bedeutet Monoaminoxygenase) weiter abgebaut. Hierauf beruht die Wirkung der so genannten MAO-Hemmer, die dieses Enzym in seiner Wirkung bremsen, dadurch zu höheren Serotoninspiegeln führen und in der Medizin als Antidepressiva eingesetzt werden. Weitere Medikamentengruppen wie die SSRI (Serotoninwiederaufnahmehemmer, s.u.) und die trizyklischen Antidepressiva beeinflussen ebenfalls den Serotoninstoffwechsel und wirken so antidepressiv. Da die Wirkung aber sehr unspezifisch ist und daher auch weitere Funktionen des Serotoninhaushaltes beeinflusst werden, kommt es häufig zu unerwünschten Nebenwirkungen. Sehr hohe Serotoninspiegel regen die Darmperistaltik an und führen zu Durchfall oder Erbrechen. Es gibt seit kurzem Medikamente, die den Serotoninstoffwechsel beeinflussen und bei Übelkeit und Erbrechen (Ondansetron) bzw. Reizdarm (Tegaserod) therapeutisch eingesetzt werden.

struktur serotonin

Strukturmolekül des Glückshormons Serotonin

Nebenbei: Das Darm-Nervensystem produziert mehr Serotonin als das zentrale Nervensystem. Das „Bauchhirn“ scheint auf diesem Wege einen stärkeren Einfluss auf unser Gehirn respektive unsere Psyche zu nehmen als umgekehrt. Wegen der Gefäßbeeinflussung ist Serotonin an der Vermeidung von Migräne beteiligt. Daher werden Triptane, die an Serotonin-Rezeptoren andocken, in der Behandlung akuter Migräneanfälle eingesetzt.

tryptophan

Synthese von Serotonin

Haben Sie einen Serotoninmangel?

Wenn Sie folgende Fragen bejahen, dann liegt möglicherweise bei Ihnen ein Serotonin-Mangelsyndrom vor:

  • Leiden Sie unter Schlafstörungen? Durchschlafstörungen sind hier bedeutsamer als Einschlafstörungen, bei denen häufiger ein Mangel an Melatonin besteht.
  • Fühlen Sie sich manchmal niedergeschlagen und antriebslos, ohne dass ein besonderer Grund dafür besteht? Denken Sie manchmal, dass Sie depressiv sind?
  • Haben Sie gelegentlich Heißhungerattacken? Treten diese besonders abends oder sogar nachts auf? Und besteht besonders ein Heißhunger nach Süßem oder nach Kohlenhydraten wie Kuchen, Brot oder Teigwaren?
  • Sind chronische oder rezidivierende Schmerzen ein Thema für Sie? Sind Sie berührungsempfindlich? Können Sie eine Massage, selbst wenn sie sanft ist, kaum ertragen? Serotoninmangel macht uns schmerzempfindlicher. Darum werden Antidepressiva, die den Serotoninspiegel im Nervensystem erhöhen, auch oft in der Schmerztherapie eingesetzt, ohne dass eine Depression vorliegen muss.
  • Sind Sie ängstlich? Haben Sie eine inadäquate Angst vor Dingen, vor denen man sich eigentlich nicht fürchten müsste? Meiden Sie enge Räume, die Sauna, hohe Türme, Flüge, Menschenansammlungen? Nicht jeder, der sich vor Spinnen fürchtet, muss einen Serotoninmangel haben. Wenn aber mehrere der aufgeführten Symptome zutreffen, können auch Ängste unter einer Serotonintherapie weniger werden.
  • Die oben aufgeführten sind die fünf klassischen Symptome des klinischen Serotoninmangels. Wenn drei dieser fünf Symptome bei Ihnen eindeutig vorliegen, ist ein solcher wahrscheinlich. Bei vier oder fünf ist er fast sicher. Bei zwei immerhin noch möglich.

Natürlich ist nicht jede Depression auf einen Serotoninmangel zurückzuführen. Ein Verlust des Arbeitsplatzes, eine Trennung vom Partner oder der Tod eines lieben Mitmenschen kann zu einer Depression führen, auch ohne dass ein Serotoninmangel vorliegt (besteht dieser jedoch zusätzlich, wird auch eine solche reaktive Depression aber noch verstärkt). Es gibt auch so genannte endogene Depressionen, von denen wir die genaue Ursache noch nicht kennen. Und neurotische Depressionen sind durch Serotonin fast nie beeinflussbar. Aber bei vielen leichten und mäßigen Depressionen kann man mit einer Regulierung des gestörten Serotoninstoffwechsels oft eine „Heilung“ innerhalb weniger Tage erreichen. Die „Heilung“ steht deshalb in Anführungszeichen, weil die Ursache des Serotoninmangels noch nicht beseitigt ist, die Krankheitssymptome liegen aber nicht mehr vor, auch ohne dass „schwere Medikamente“ eingesetzt werden müssen.

nerven

Serotonin wirkt im synaptischen Spalt und leitet
so Nervenimpulse in zentralen Nervensystem weiter

Antidepressiva

Nebenbei: Die meisten Antidepressiva setzen ebenfalls am Serotoninhaushalt an. Serotonin ist ein Signalstoff des Nervensystems. Es wird in den synaptischen Spalt zwischen zwei Nerven ausgeschüttet. Dockt das Serotonin nun an einen Serotoninrezeptor des Empfänger-Nerven an, so wird in diesem ein elektrisches Signal weitergeleitet (s. Abb. 4). Bei einer Depression sind die Konzentrationen von Serotonin im synaptischen Spalt zu niedrig, so dass weniger Signale entstehen mit der Folge von schlechter Stimmung und Schlafstörungen. Die so genannten SSRI (selective serotonin re-uptake inhibitors = Serotoninwiederaufnahmehemmer) sind eine neue Klasse von Antidepressiva, die bewirken, dass das Serotonin nicht so leicht abgebaut werden kann und länger seine Signalfunktion ausüben kann. Auch die klassischen Antidepressiva, die so genannten trizyklischen Antidepressiva, und die MAO-Hemmer wirken auf das Serotonin ein.
Leider machen alle diese Mittel dies sehr unspezifisch, so dass häufig Nebenwirkungen auftreten. Die wichtigsten Nebenwirkungen sind dabei Müdigkeit, Gewichtszunahme und Potenzstörungen. Dabei handelt es sich auch nicht um seltene, sondern um sehr häufige Nebenwirkungen von jeweils mehr als 10 %. Die wichtigste Nebenwirkung steht allerdings nicht im Beipackzettel: Das Serotonin wird zwar im synaptischen Spalt vermehrt, der Körperbestand nimmt dabei aber ab. Die Depression wird dabei also zwar unterdrückt (was in schweren Fällen oder gar bei Selbstmordneigung auch notwendig ist!), die Ursache der Depression wird aber nicht beseitigt, sondern u.U. sogar verstärkt.
Der menschliche Körper verfügt über viele Selbstheilungsmöglichkeiten. Der Heißhunger beim Serotoninmangel (auch der zunehmende Hunger unter Antidepressiva) ist nichts anderes als der frustrane Versuch einer Selbstheilung: Durch den Verzehr von Süßigkeiten kommt es zu einer starken Insulinausschüttung. Insulin fördert aber die Aufnahme der Aminosäure Tryptophan aus der Nahrung und den Übertritt von Tryptophan über die Blut-Hirn-Schranke in das zentrale Nervensystem. Tryptophan ist nun eine Vorstufe von Serotonin. Da die Menge an Tryptophan aber oft nicht ausreicht, um dem Mangel zu begegnen, kommt es nicht nur zu keiner Linderung der psychischen Symptome, sondern es kommt noch zusätzlich zu einem manchmal erheblichen Übergewicht, was die Depression bei vielen Menschen auch nicht gerade positiv beeinflusst.

Weitere Anwendungsmöglichkeiten von Serotonin

Bei folgenden Krankheiten/Störungen wird eine mögliche Rolle von Serotoninmangel in der Entstehung diskutiert:

  • Reizdarm: Hier lohnt sich ein Therapieversuch, wenn weitere Symptome des Serotoninmangels (s.o.) vorhanden sind.
  • Fibromyalgie: Auch hier lohnt sich ein Therapieversuch, wenn weitere Symptome des Serotoninmangels (s.o.) vorhanden sind. Besonders effektiv ist die Kombination mit dem Muskel entspannenden Magnesium.
  • Migränevorbeugung: Ein Therapieversuch kann lohnen, wenn eine Neigung zu Depression besteht oder wenn – gerade vor den Anfällen – eine Neigung zu Heißhunger besteht.
  • PMS: Das Symptom „Muskel- bzw. Unterleibskrämpfe“ des prämenstruellen Syndroms wird besser durch Magnesium beeinflusst. Spannungsgefühl in den Brüsten spricht besser auf den Mönchspfeffer oder bei einem nachgewiesenen Mangel auf naturidentisches Progesteron an. Bei einer deutlichen Appetitsteigerung, depressiver Reizbarkeit und/oder Schlafstörungen an den Tagen vor oder während der Periode sollte unbedingt auch an das Serotonin gedacht werden. Es reicht dann aus, das 5-HTP nur in der zweiten Zyklushälfte zu nehmen, wenn ansonsten keine Serotoninmangelsymptome vorliegen.
  • Angststörungen: Diese psychischen Erkrankungen gehen oft mit niedrigen Serotoninspiegeln einher und können durch Erhöhung der Serotoninspiegel günstig beeinflusst werden.
  • Chronischer Schmerz: Schmerzpatienten bekommen häufig SSRI oder trizyklische Antidepressiva, weil hierunter eine subjektive Besserung verspürt wird. Da auch Serotonin hierdurch beeinflusst wird, ist eine Beeinflussung des chronischen Schmerzes durch Serotoninvorstufen möglich.

Wie kann der Serotoninspiegel erhöht werden?

Ein einfacher, alter Tipp der Erfahrungsheilkunde wirkt wohl ebenfalls über den Serotoninspiegel: Das abendliche Trinken eines Glases heißer Milch mit Honig hat in der Regel günstige Wirkungen auf den Schlaf – vermutlich wird das im Milcheiweiß enthaltene Tryptophan durch den Honig (Insulinfreisetzung) besser ins Hirn geschleust. Viele Menschen schlafen auch besser, wenn Sie zum Abendessen eher eiweißarm und kohlenhydratreich essen, was wohl auf demselben Mechanismus beruht. Diese Ernährungsmaßnahmen reichen aber wahrscheinlich nicht aus, um mittelschwere Depressionen, deutliche Schlafstörungen oder ein quälendes Reizdarmsyndrom deutlich zu beeinflussen.

schokolade

Kakao enthält zwar Serotonin,
welches aber nicht in das Gehirn gelangt

Welche Diagnostik hilft weiter?

Vor einer Therapie bestimme ich gern den Serotoninspiegel im Blut. In der „Akuttherapie“ setze ich in den ersten Wochen der Behandlung gern 5-HTP (5-Hydroxytryptophan) ein, um für den Patienten rasche Erfolge zu erzielen, die bereits in den ersten beiden Wochen merklich einsetzen können. In Deutschland ist die Aminosäure L-Tryptophan zur Behandlung von Schlafstörungen oder leichten Depressionen zugelassen. Diese Aminosäure ist die Vor-Vor-Stufe von Serotonin. Hiervon müssen therapeutisch bis zu 2 g täglich eingenommen werden. Noch effizienter wirkt m.E. die direkte Vorstufe 5-HTP (5-Hydroxytryptophan, s. Abb. 3). Hiervon reichen i.d.R. 100-200 mg abends vor dem Schlafengehen aus. 5-HTP ist in Deutschland als Medikament nicht zugelassen, während Sie es in Amerika in jedem Supermarkt kaufen können (kein Witz!). Es gibt Apotheken, die sich auf die Herstellung von Nahrungsergänzungen und Hormonen spezialisiert haben, die es nicht als Fertigpräparat zu kaufen gibt. Ärzte können solche Mittel wie etwa das 5-HTP auf Privatrezept verschreiben. Das ist sehr wichtig, da es Interaktionen zu anderen Medikamenten geben kann, die den Serotoninstoffwechsel beeinflussen. Die Kombination von Antidepressiva und L-Tryptophan oder 5-Hydroxytryptophan sollte – wenn überhaupt – nur von mit der pharmakologischen Therapie von psychischen Störungen sehr vertrauten Ärzten durchgeführt werden, da sonst die Gefahr eines Serotoninsyndroms besteht (Nebenwirkungskomplex mit Unruhe, Agitiertheit, Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Schwitzen, Zittern, Muskelkrämpfen, Bluthochdruck, Verwirrtheit – kann u.U. zum Tode führen). Bei Tryptophan oder 5-HTP allein besteht diese Gefahr überhaupt nicht. In der Selbstbehandlung sollten diese Substanzen auf keinen Fall zusammen mit Antidepressiva eingesetzt werden!

Was gibt es noch zu beachten?

Denken Sie nicht nur an 5-HTP, sondern auch an so genannte serotoninerge Nährstoffe. Das sind Bestandteile unserer Nahrungsmittel, die die Bildung von Serotonin fördern. Es reicht nämlich nicht nur aus, die Vorstufen zuzuführen. Wir müssen auch für einen optimalen Bestand an Substanzen sorgen, die von den Enzymen benötigt werden, die den Umbau dieser Vorstufen in das eigentlich wirksame Serotonin bewerkstelligen. Diese sind:

  • Omega-3: Darauf beruht vermutlich die nachgewiesene anti-depressive Wirkung von Fischen/Fischöl. In der Fettsäureanalyse sollte ein AA/EPA-Quotient unter 2,5 angestrebt werden. Dafür sind bei einem normalgewichtigen meist 2 g reine Omega-3-Fettsäuren erforderlich (entsprechend einem Esslöffel Fischöl oder 12 herkömmlichen Kapseln).
  • Eisen: Eisenmangel verursacht nicht nur Müdigkeit, Erschöpfung und Antriebslosigkeit, sondern kann auch eine Depression verstärken. Gemessen wird der Eisenmangel aber nicht dem eher störanfälligen Serumeisen, sondern mit dem Speichereisenmarker Serumferritin. Dabei sollte nicht nur der von den Laboren angegebene Normwert, sondern ein Optimalwert angestrebt werden, der im hochnormalen Bereich liegt. Bei Unverträglichkeit von oralen Eisengaben oder wenn ein schneller Anstieg erwünscht ist, können auch Eiseninfusionen angezeigt sein.
  • Vitamin B6: Dieses wichtige Nerven-Vitamin ist bei Serotoninmangel nicht selten auch defizitär. Eine Gabe von Vitamin B6 zum 5-HTP unterstützt die Bildung von Serotonin.
  • Zink: Auch dieses wichtige Spurenelement unterstützt die Synthese von Serotonin. Wichtige subjektive Zinkmangelsymptome sind Infektneigung, brüchige Nägel, Haarausfall und Wundheilungsstörungen.

Im Zweifel sollten Vitamin B6, Zink und Ferritin als Marker für das Speichereisen von einem darin erfahrenen Therapeuten bestimmt und dann optimal substituiert werden. Bei den Omega-3-Fettsäuren kann man neben dem Gehalte der einzelnen Fettsäuren im Blut vor allem den wichtigen Omega-6/3-Fettsäure-Quotienten bestimmen, der sich nicht nur als Prädiktor für Entzündungen, sondern auch Depressionen erwiesen hat. Bei Nährstoffdefiziten und anschließender Substitution sollten die Werte nach etwa 3 Monaten kontrolliert werden.

Fazit

In der Hand des damit erfahrenen Therapeuten können mitunter sehr unangenehme Erkrankungen wie Depression, Schafstörungen, Übergewicht, Migräne, Reizdarm oder PMS mit natürlichen Maßnahmen (und dazu kann u.a. die Beeinflussung des Serotoninspiegels gehören) sehr rasch, zuverlässig und nebenwirkungsarm gelindert oder sogar beseitigt werden.

sonne

Achten Sie auf Ihr Serotonin, damit die Sonne auch für Sie scheint!