„An allem zweifeln und alles glauben sind zwei bequeme Wege, die in gleicher Weise, einer wie der andere, vom Nachdenken befreien.“

Henri Poincaré (1854-1912) Französischer Physiker

Poincaré gehörte zu den bedeutendsten Mathematikern und Physikern seiner Zeit. Er entwarf brillante mathematische Modelle, die nur einen Fehler aufwiesen – sie widersprachen teilweise einander. Poincarè sah darin aber überhaupt kein Problem: Diese Frage werde nicht die Mathematik, sondern die Naturwissenschaft entscheiden. Welche Größe! Ein theoretischer Mathematiker stellt all seine schönen Theorien hinter die Naturwissenschaft, also das, was sich als wirklich real erweist. Alle Theorien müssen eben immer an der Wirklichkeit überprüft werden. Oder, um es etwas profaner mit den Worten unseres Alt-Bundeskanzlers Kohl auszudrücken: „Entscheidend ist, was hinten rauskommt.“

Das Sonnenvitamin unter Beschuss

Eigentlich wollte ich wieder einen konstruktiven Newsletter schreiben. Für meinen letzten Newsletter zum Thema „Gehenlassen“ habe ich viele positive Rückmeldungen erhalten, vielen Dank dafür! Aber viele kritische, nein bösartige Äußerungen zu von mir geschätzten und bei vielen Patienten eingesetzten Nährstoffen zwingen mich dazu, Stellung zu nehmen, damit ich nicht jedem verunsicherten Patienten alles neu erklären muss, sondern auf diesen Newsletter verweisen kann.

Zur Vorgeschichte: Vitamin D wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts als der Nährstoff entdeckt, der für die Rachitis verantwortlich ist (bzw. natürlich dessen Mangel). Die richtige Folge daraus: Man gab den Kindern Vitamin D in Form von Tierleber, Bestrahlungen mit Höhensonne (künstliche UV-Strahlung zur Vitamin D-Bildung) und heute eben Vitamin D-Tabletten/Tropfen in der Säuglingszeit. So weit, so gut!

Abb. 1: Kinder mit Rachitis, Quelle: Holick, M. F Am J Clin Nutr 2004;80:1678S-1688S

Aber eigentlich hätte man auch einmal auf einer Meta-Ebene betrachten müssen, was eigentlich das Hauptproblem war. Es geht nämlich um weit mehr als nur um einen einzigen Nährstoff: Jahrtausendelang hatte die Menschheit kein Problem mit der Vitamin D-Versorgung. Warum? Unsere paläolithischen Vorfahren waren nomadisierende Steppenbewohner, die fast ständig im Freien unterwegs waren. Merkwürdigerweise sind sie nicht epidemieartig vom malignen Melanom dahingerafft worden, was nach Meinung vieler Hautärzte doch eigentlich der Fall hätte sein müssen (zur Thematik Sonne und Melanom verweise ich auf meinen Newsletter hierzu: https://www.dr-schmiedel.de/melanom-sonne/). In der neolithischen Revolution wurden die Menschen dann sesshaft, verbrachten als Ackerbauern und Viehzüchter aber immer noch den größten Teil ihrer Zeit draußen an der Sonne. Erst mit der industriellen Revolution wurde dies anders: Menschen arbeiteten nicht mehr an der frischen Luft, sondern in großen Fabriken. Kinder auf dem Lande spielten immer noch auf Straßen und Wiesen, aber die Großstadtkinder bekamen in den engen Straßen und Hinterhöfen mit ihren hohen Häuserschluchten kaum noch Sonnenstrahlung ab und konnten so nicht genügend Vitamin D für ihre Knochen und ihr Immunsystem bilden. Folgerichtig kam es zu gehäuften Fällen von Rachitis. Und auch die Tuberkulose (siehe Thomas Mann: Der Zauberberg) begann sich rasend auszubreiten. Die einzige Therapie, die man damals kannte, waren Luft-Liege-Kuren in den Alpen, z.B. in Davos. Ohne dass die Ärzte dies damals wussten, denn Vitamin D war noch nicht entdeckt, betrieben sie damit eine Vitamin D-Therapie, mit der immerhin einige geheilt wurden. Wir wissen heute, dass nur bei hohen Vitamin D-Spiegeln genügend Cathelicidin gebildet wird, ein natürlich synthetisiertes Antibiotikum, welches sich auch gegen Tuberkuloseerreger richtet. Es ist also eine unnatürliche, nicht art-gerechte Haltung, die uns Menschen krank macht! Für Tiere fordern wir eine solche artgerechte Haltung, wir selbst begeben uns aber in eine freiwillige Käfighaltung.

Dann wurde es etwas still um das Dornröschen Vitamin D. Ja, man wusste um die präventive Wirkung bei Rachitis und auch die Wirksamkeit bei Osteoporose stand außer Frage, aber ansonsten fiel die Prinzessin in einen fast hundert Jahre andauernden Schlaf. Vor einigen Jahren begannen aber Wissenschaftler das Dornröschen Vitamin D aus ihrem langen Schlaf wachzuküssen: Sie entdeckten zahlreiche extraossäre Wirkungen von Vitamin D. Es gibt nahezu keine Zelle in unserem Körper, die keine Vitamin D-Rezeptoren aufweist. Viele Funktionen unseres Körpers werden über den Botenstoff (Vitamin D ist gar kein Vitamin, sondern ein Hormon, altgriechisch ὁρμᾶν hormān = antreiben, erregen) gesteuert, z.B.:

Abb. 2: Einige Wirkungen von Vitamin D

Immer mehr Therapeuten verschreiben Vitamin D

Die vielfältigen Wirkungen haben dazu geführt, dass immer mehr Ärzte ihren Patienten Vitamin D empfehlen – bevorzugt solche, die naturheilkundlich/orthomolekular interessiert sind. Ich selbst messe bei allen oben angegebenen Krankheiten den Vitamin D-Spiegel und strebe optimale Werte an. Zum optimalen Spiegel möchte ich später noch Stellung nehmen.

Natürlich gibt es zu jeder Frage unterschiedliche Meinungen. Diese sollten fair und mit Respekt ausdiskutiert werden, wobei wissenschaftliche Studien und persönliche Erfahrungen in eine solche Diskussion Eingang finden sollte. Laut Poincaré geht es eben nicht nur um zweifeln und um glauben.

Ich selbst habe schon seit vielen Jahren Vitamin D gemessen und häufig gegeben. Ich meine damit gute Erfolge bei vielen chronischen und komplexen Erkrankungen gesehen zu haben, was ich natürlich nie nur dem Vitamin D allein zuordnen kann, da ich polypragmatisch meist mehrere Nährstoffe gebe und auch noch andere ganzheitliche Verfahren anwende.

Eine Beobachtung, die ich aber immer wieder mache und die ich auch nicht auf meinen guten Glauben an Vitamin D zurückführe: Patienten, denen ich Vitamin D wegen Rheuma, Herzkrankheiten oder anderer Indikationen verschreibe, berichten mir unisono, dass sie überraschend „gut durch den Winter kommen“. Gerade in diesem Winter ging ja ein wirklich unangenehmer Virus herum. Viele beklagten eine schwere Infektion, von der sie sich lange Zeit nicht gut erholt haben. Meine „Vitamin D-Patienten“ (und ich selbst auch) blieben glücklicherweise weitgehend verschont. Wenn Vitamin D nur diese Wirkung hätte – und alle anderen behaupteten würden sich als falsch erweisen -, wäre das nicht allein ein Grund, die Bevölkerung flächendeckend und großzügig mit Vitamin D zu versorgen? Nun können böse Zungen ja behaupten, dass ich voreingenommen bin und sehe nur das, was ich sehen will.

Diesem Argument kann mit einer Meta-Analyse begegnet werden, die vor etwa einem Jahr im British Medical Journal erschienen ist (1). Nun ist dieses Magazin nicht irgendeine medizinische Bäckerblume (nichts gegen die Bäckerblume!), sondern eine der weltweit wichtigsten medizinischen Fachzeitschriften. Um dort einen Artikel zu publizieren, müssen die Angaben schon hieb- und stichfest sein. Mehrere peer reviewer (wissenschaftliche Gutachter, die den Artikel auf Wissenschaftlichkeit überprüfen) müssen ihr ok geben, damit ein solcher Beitrag erscheinen kann – und bei einem naturheilkundlichen Thema ist man ganz bestimmt nicht weniger kritisch. Was die Wissenschaftler herausgefunden haben: Menschen, die im Winter Vitamin D nehmen, bekommen etwa 20 % weniger Infekte – aber nur, wenn sie täglich Vitamin D nehmen. Die siebenfache Menge einmal wöchentlich hatte keinen Effekt. Diejenigen mit schlechten Spiegeln hatten sogar einen noch größeren Benefit – hier wurde die Infektrate nahezu halbiert. Und dies wurde nicht in einer einzigen Studie gefunden, sondern viele Studien ergaben übereinstimmend dasselbe Ergebnis.

Naja, ein paar Infekte mehr oder weniger. Das kann doch nicht so schlimm sein. Fragen Sie mal betriebswirtschaftliche Ökonomen, welche Milliardenschäden der Wirtschaft pro Jahr durch infektbedingte Abwesenheit vom Arbeitsplatz entstehen. Und wenn Sie selbst mal wieder mit heftigsten Gliederschmerzen und triefender Nase zu Hause bleiben müssen, werden Sie die Bedeutung der Vermeidung auch nur weniger Infekte nicht mehr anzweifeln.

Aber was ist mit schweren und chronischen Erkrankungen. Eine der bedrohlichsten Erkrankungen ist hier sicher die Multiple Sklerose. Nun ist seit Jahrzehnten bekannt, dass die MS umso häufiger auftritt, je weiter wir uns vom Äquator entfernen. Die einzige Begründung hierfür kann nur der Vitamin D-Mangel in sehr nördlichen und sehr südlichen Regionen sein. Im Lancet erschien vor einigen Jahren ein Review zu Vitamin D und MS. Auch der Lancet ist eine der weltweit führenden Fachpublikationen, wo jeder angenommene Artikel einen sehr strengen Auswahlprozess durchlaufen muss. Die Forscher errechneten aus einer Vielzahl von vorhandenen Daten, dass ¾ aller MS-Fälle in Europa und Nordamerika verhindert werden könnten, wenn alle Menschen einen Vitamin D-Spiegel über 100 nmol/l (= 40 ng/ml) aufwiesen (2). Wir müssen uns das wegen der enormen Bedeutung noch einmal auf der Zunge zergehen lassen: 75 % aller MS-Fälle könnten allein durch Vitamin D vermieden werden! Das sage nicht ich, weil ich Vitamin D so toll finde. Das sagen Wissenschaftler, die die Studien exakt geprüft haben. Das sagt ein weltweit führendes medizinisches Magazin. Ich könnte noch zahlreiche weitere Studien anführen, erspare Ihnen und mir dies aber. Ich halte in der Schweiz immer wieder mal ein Ganztagesseminar, wo es acht Stunden lang nur um Vitamin D geht und die Beweise für dessen Nutzen.

Gegenwind für Vitamin D

Wenn etwas so angepriesen wird, dann kommen aber auch schnell kritische Stimmen auf. Das kann doch nicht sein, dass so ein kleiner Nährstoff eine solche Wirkung hat, die viele schulmedizinische Medikamente in den Schatten stellt. Es kann doch nicht sein, dass wir alle Vitamin D schlucken müssen. Und kann Vitamin D nicht auch Überdosierungen oder sogar Vergiftungen verursachen? Beginnen wir mit der letzten Frage: Diese ist ganz klar zu bejahen. Schon Theophrastus Bombast von Hohenheim (besser bekannt als Paracelsus) in der Nähe des schönen Einsiedeln im Kanton Schwyz geboren (nur 27 km von mir entfernt) wusste:

Abb. 3: Paracelsus – ein revolutionärer Arzt aus der Schweiz

„In allen Dingen ist auch ein Gift, und nichts ist ohne Gift. Allein von der Dosis hängt es ab, ob ein Ding ein Gift ist oder nicht.“

Das ist beim Vitamin D nicht anders. Wir können uns mit allem vergiften. Wenn Sie zehn EL Kochsalz essen, ist das tödlich. Wenn Sie drei Tage hintereinander zehn Liter destilliertes Wasser trinken, dann sterben Sie. Wie können lebensnotwendige Stoffe wie Kochsalz oder Wasser gefährlich sein? Die Dosis macht´s. Nun gibt es (über)eifrige Journalisten, die einzelne Überdosierungen aufbauschen und vor dem „gefährlichen“ Vitamin D warnen. Jüngst ist mir ein besonders perfider Artikel der Aargauer Zeitung zugespielt worden und ich muss meine Therapieempfehlungen zu Vitamin D mühsam rechtfertigen: https://www.aargauerzeitung.ch/leben/leben/vitamin-d-dosierungen-sind-viel-zu-hoch-nun-werden-vergiftungsfaelle-bekannt-132572343 Lesen Sie ruhig einmal nach, was dort beschrieben wird. Nicht nur einer, sondern sogar zwei Vergiftungsfälle werden dort berichtet! Nebenbei: Es ist unbestritten, dass in Deutschland jährlich 1000-4000 (in der Schweiz wohl 100-400) Patienten an Nebenwirkungen von NSAR (z.B. Diclofenac, Ibuprofen, ASS) sterben. Warum steht dazu nichts in der Zeitung? Aber zwei Vergiftungsfälle. Nun sind Vergiftungen Vergiftungen und man darf und soll darüber berichten. Aber dann bitte mit einem Hauch von Seriosität und gesicherten Fakten. Was mich brennend interessiert hätte: Welche Dosen wurden denn von den beklagenswerten Opfern wie lange eingenommen? Kein Wort dazu. Das ist doch vielleicht nicht ganz unwichtig. Die 78jährige Patientin kam mit einem blauen Auge davon (im übertragenen, nicht im wörtlichen Sinne) und erlitt keine Dauerschäden. Der 60jährige Patient bekam jedoch bleibende Nierenschäden und wurde dialysepflichtig. Schlimm genug. Und Anlass dafür, über die Notwendigkeit einer kontrollierten und differenzierten Vitamin D-Therapie zu sprechen. Diese Chance verstreicht jedoch ungenutzt. Vielmehr wird zum umfassenden Schlag gegen das „böse“ Vitamin D ausgeholt. Hier ein Auszug des Geschreibsels:

  • „Dabei bringen solche Präparate, wie aktuelle Studien belegen, selbst in angemessener Dosierung nur wenig Positives für die Gesundheit.“
Kommentar: Wie bitte? Ich kann dutzende Studien anführen, die das Gegenteil belegen.
  • „Außerdem gehen viele Erkrankungen Hand in Hand mit niedrigen Vitamin-D-Spiegeln im Blut. Doch die könnten, wie Endokrinologe Helmut Schatz von der Ruhr-Universität Bochum betont, «eine Folge und nicht die Ursache der Erkrankung sein».“
Kommentar: Ein gutes Argument. Wer schon eine beginnende Depression oder einen Krebs im Anfangsstadium hat, geht weniger raus und hat darum bei Diagnosestellung einen niedrigen Vitamin D-Spiegel. Die Frage, was die Henne und was das Ei ist, kann nur durch gute Interventionsstudien beantwortet werden. Die sind leider noch rar (besonders bei Krebs). Aber bei Infekten (s.o.), Asthma, Frakturen und anderen Indikationen gibt es genau diese Studien. Warum leugnet ausgerechnet ein Endokrinologe diese Studien? Kann oder will er sie nicht zur Kenntnis nehmen?
  • „…hat man bei einer Analyse der wissenschaftlichen Daten keine Hinweise darauf, dass eine tägliche Vitamin-D-Zufuhr von 10 bis 20 Mikrogramm (400–800 IE) einen Einfluss auf nicht-skelettale Erkrankungen wie Übergewicht, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes oder Depressionen hätte.“
Kommentar: Das ist für mich auch kein Wunder. Diese Studien beweisen nicht, dass Vitamin D bei diesen Indikationen nicht wirkt, sondern dass diese Unterdosierungen nicht wirken. Eine suffiziente Vitamin D-Therapie bedarf etwa 2000-8000 IE täglich – am besten spiegelgesteuert. Unterhalb dieser Dosen ist es der berühmte Tropfen auf dem heißen Stein und absolut nutzlos.
  • „Die Stiftung Warentest hat aufgrund dieser Werte ausgerechnet, dass gerade mal zwei Prozent der Erwachsenen und vier Prozent der Kinder und Jugendlichen einen Vitamin-D-Mangel hätten.“
Das hängt immer davon ab, welchen Laborwert man zugrunde legt. Die Grundlage dieser Daten ist die KIGGS-Studie des renommierten Robert-Koch-Instituts. Die angegebenen Mängel beziehen sich auf einen wirklich grottenschlechten Grenzwert von < 12,5 nmol/l. Unter 25 nmol/l – was immer noch sehr schlecht ist – haben immerhin 16 % der Erwachsenen und 19 % der Kinder und Jugendlichen eine Mangel. Unter 50 nmol/l – das wird von vielen Laboren als untere Normgrenze angegeben – liegen immerhin 57 % der Erwachsenen und 63 % der Kinder/Jugendlichen. Die Hälfte bis 2/3 der Menschen in Deutschland haben amtlich festgestellt (Robert-Koch-Institut, https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/Vitamin_D/FAQ05.html) einen Vitamin D-Mangel – aber nach Angaben der Stiftung Warentest und der Aargauer Zeitung soll es praktisch keinen Mangel geben!?!? Und wir reden hier von einem Grenzwert von 50 nmol/l. Viele Labore und die meisten Experten sind sich mittlerweile einig, dass man bei > 75 nmol/l besser liegt. Ich selbst – und viele meiner orthomolekular arbeitenden Kollegen streben Werte > 100 nmol/l an. Dies werde ich später noch begründen. Aber meine Erfahrung zeigt, dass Werte (ohne Einnahme) von > 75 nmol/l nur gelegentlich und > 100 nmol/l praktisch nicht vorkommen (Ausnahmen bestätigen die Regel, wie wir noch sehen werden).
  • “Außerdem werden Vitamin D-Messungen, die von immer mehr Therapeuten durchgeführt und von immer mehr Patienten gewünscht werden, kritisiert.”

Kommentar: Hallo geht´s noch? Wenn der 60jährige unter seiner Therapie mal seinen Vitamin D-Spiegel kontrolliert hätte, dann wäre die Überdosierung rechtzeitig erkannt worden und das Nierenversagen hätte vermieden werden können. Nachdenken soll manchmal helfen (siehe auch meinen Newsletter https://www.dr-schmiedel.de/sonne-im-herzen-vitamin-d-herzschwaeche/, da geht es um die Themen “sapere aude = wage zu denken” und Vitamin D bei Herzschwäche).

Hat der Journalist der Aargauer Zeitung sich das alles selbst aus den Fingern gesogen?

Nein, gewiss nicht. Seine Quelle ist vermutlich die „Ärzte Zeitung online“ vom 1.12.2017 (https://www.aerztezeitung.de/medizin/krankheiten/urologische-krankheiten/niereninsuffizienz/article/948640/zwei-fallbeispiele-hyperkalzaemie-durch-ueberdosierung-vitamin-d.html). Auch dort sind die beiden Fälle dargestellt. Aber im Gegensatz zum schlampig recherchierten Artikel aus dem Aargau werden hier wenigstens die Dosen genannt: Die ältere Dame hatte 10.000 IE Vitamin D genommen, der Herr sogar 50.000 IE – und zwar täglich! Leider wird auch hier der Zeitraum der Einnahme nicht genannt, was mich schon sehr interessiert hätte. Für kurze Zeit wären selbst diese Dosen nicht schädlich gewesen.

Auch wenn der Beitrag der Ärztezeitung prinzipiell Vitamin D-kritisch ist, kann ich das dort Geschriebene nur vollständig unterschreiben (ok, die empfehlen 800 IE am Tag, da bin in nicht konform):

  • „Höhere Dosierungen erforderten jedoch stets die ärztliche Aufsicht und regelmäßige Kontrollen des Vitamin-D-Status.“
Kommentar: Eben. Es sollte vor und es muss unter jeder Therapie mit mehr als 4000 IE gemessen werden!
  • „Dabei sei die sichere Obergrenze, die für die tägliche Aufnahme von der Europäischen Lebensmittelbehörde festgelegt worden sei – 100 μg/d (4000 IE/d) für Heranwachsende und Erwachsene – zu beachten.“
Kommentar: Idem. Unter 4000 IE bei Erwachsenen, unter 2000 IE bei Kindern, unter 1000 IE bei Kleinkindern braucht noch nicht einmal gemessen werden. Ich halte es bei entsprechenden Krankheiten dennoch für sinnvoll, da mit diesen Dosierungen zwar die gröbsten Mangelzustände vermieden, aber selten optimale Werte (siehe unten) erzielt werden können.
  • „Wegen der genannten Risiken sei Patienten daher davon abzuraten, eigenständig hoch dosiert Vitamin-D-Präparate einzunehmen.“

Kommentar: Dito. Ich sehe das leider auch immer wieder. Diese Menschen, die meinen, sich etwas Gutes zu tun, gefährden sich nicht nur selbst, sondern diskreditieren auch das harmlose (wenn man keine gravierenden Fehler begeht) und nützliche (siehe entsprechende gut designte Studien) Vitamin D.

Die Gretchenfrage
Wir alle kennen die berühmte Frage von Gretchen an Faust: „Nun sag, wie hast du’s mit der Religion? Du bist ein herzlich guter Mann, allein ich glaub, du hältst nicht viel davon.“ Beim Vitamin D lautet die Gretchenfrage: „Nun sag, wie hast Du`s mit dem Vitamin D-Level? Du bist ein herzlich guter Arzt, allein ich glaub, du hältst nicht viel vom hohen Spiegel.“ Leider reimt sich das nicht. Aber das ist doch für viele die entscheidende Frage, ob und wie viel Vitamin D überhaupt gegeben werden sollte. Für die Stiftung Warentest beginnt einen Mangel erst unter 12,5 nmol/l, was wirklich unterirdisch ist. Prof. Schatz hält 25 nmol/l für völlig ausreichend. Viele Labore und das Robert-Koch-Institut meinen, über 50 nmol/l seien schon ganz gut. Andere Labore und viele Vitamin D-Anwender sind erst mit über 75 nmol/l zufrieden. Meine Empfehlung zur Prävention und bei der Therapie vieler Krankheiten liegt jedoch bei über 100 nmol/l. Und ich bin mit dieser Empfehlung keineswegs allein. Viele Therapeuten – die meisten aber aus dem Bereich der Naturheilkunde bzw. Orthomolekularen Therapie, nicht aus der konventionellen Medizin – sehen das ganz genauso. Wie komme ich zu so abstrus hohen Spiegelempfehlungen?

Ich gehe immer von der Natur aus. Was die Natur seit Millionen von Jahren macht, muss sich im gnadenlosen Selektionsprozess der Evolutionsgeschichte bewährt haben, sonst wäre es „herausgemendelt“ worden (Gregor Mendel war ein österreichischer Priester, der durch Kreuzungsversuche mit Erbsen einen wesentlichen wissenschaftlichen Beitrag zur Genetik geleistet hat). Für welchen Vitamin D-Spiegel hat uns die Natur denn nun vorgesehen? Die menschliche Rasse stammt aus Afrika. Auch dort haben Menschen im Wesentlichen ihre Zeit im Freien verbracht. Eine ganz entscheidende Frage ist also, welche Vitamin D-Spiegel Schwarzafrikaner aufweisen, die noch traditionell, also artgerecht leben. Genau diese Frage ist vor 6 Jahren von niederländischen Wissenschaftlern an 60 Maasai (bei uns besser bekannt als Massai, da ich in Sansibar von einem Maasai ein Freundschaftsbändchen bekommen habe, bevorzuge ich aus Respekt die Bezeichnung, die die Maasai sich selbst gegeben haben) und Hadzabe in Tanzania erforscht worden (3). Die Antwort lautet: Natürlich lebende Menschen haben einen durchschnittlichen Vitamin D-Spiegel von 119 nmol/l. Wir sind hier also genau in dem Bereich, den ich auch bei meinen Patienten anstrebe. In der entsprechenden graphischen Darstellung finden wir die Verteilungskurve.

Abb. 4: Verteilungskurven der Vitamin D-Spiegel verschiedener Populationen

Nebenbei: Weiße in Nordamerika weisen Spiegel um die 50 nmol/l auf, also ähnlich wie in der KIGGS-Studie in Deutschland. Die hispanische Bevölkerung in Nordamerika liegt noch einmal deutlich darunter und alle Dunkelhäutigen in den USA (und natürlich auch in Mitteleuropa) müssten selbst nach den Kriterien von Prof. Schatz unbedingt mit hohen Dosen von Vitamin D substituiert werden – was aber nicht geschieht, da Endokrinologen und Journalisten ja nicht müde werden, vor dem potentiellen „Gift Vitamin D“ zu warnen. Hier noch eine eigene „Einzelfallstudie“: Vor einiger Zeit maß ich bei einem Patienten einen sensationell guten Wert von 157 nmol/l. Ich fragte ihn, wie viel Vitamin D er denn einnehme. Solche Werte sehe ich nur bei Menschen, die regelmäßig viel Vitamin D nehmen. Ich selbst habe einen ganz ähnlichen Wert, benötige dafür aber 4000-6000 IE. An sonnigen Sommertagen lasse ich dies aber weg, wenn ich wirklich mittags für einige Minuten ungeschützt in der Sonne bin. Ich creme mich erst nach etwa 10 Minuten mit Sonnenschutz ein. Das reicht aus, um einerseits genügend Vitamin D zu bilden, aber andererseits Sonnenbrand zu vermeiden. Zurück zum Patienten: Er gab an, gar nichts zu nehmen. Wann er denn zuletzt im Urlaub in südlichen Gefilden war. Er fahre nicht in Urlaub. Was er denn beruflich mache. Er sei Landschaftsgärtner. Aha, das war des Pudels Kern. Wenn weiße Menschen bei uns traditionell und artgerecht leben – eben weitestgehend an der frischen Luft das ganze Jahr über in der Sonne -, dann haben sie ebenso hohe Vitamin D-Spiegel wie der Maasai-Krieger mit seiner Rinderherde in Tansania! Noch irgendwelche Fragen, welche Vitamin D-Spiegel für Menschen natürlich sind?

Sind das jetzt nur theoretische Überlegungen oder findet sich das auch in Todesfallstatistiken wieder? Dieser Frage gingen Wissenschaftler 2014 nach. Sie nahmen in Ihre Meta-Analyse alle Studien auf, die einen Zusammenhang zwischen Vitamin D-Spiegel und Sterblichkeit an allen Todesursachen (von Verkehrsunfällen bis Krebs) untersuchten. Das Ergebnis finden Sie in der folgenden Graphik abgebildet.

Abb. 5: Statistischer Zusammenhang zwischen Vitamin D-Spiegel und Gesamtsterblichkeit

Wir sehen ganz klar: Bei niedrigen Spiegeln steigt die Sterblichkeit an, sogar fast bis zum Doppelten. Die Sterblichkeit ist umso geringer, je höher der Spiegel ist. Zwischen 40 und 60 ng/ml (= 100-150 nmol/l) wird allerdings ein steady state erreicht. Bis dahin sinkt das Risiko ab, aber bei höheren Spiegeln sinkt es nicht noch weiter. Der Nachteil solcher epidemiologischen Studien ist das oben erwähnte Henne-Ei-Problem. Aber mal Hand auf´s Herz: Wenn Sie sich diese Graphik anschauen – welchen Spiegel würden Sie selbst haben wollen? 10 ng/ml wie Prof. Schatz es für erforderlich hält? 20 ng/ml wie das Robert-Koch-Institut meint. 30 ng/ml wie viele Labore mittlerweile empfehlen. Oder doch besser 40-60 ng/ml wie ich (aber bei weitem nicht allein) für optimal halte. Selbst wenn die erhofften Wirkungen bei allen für Vitamin D genannten Indikationen sich nicht vollständig bestätigen sollten: Bei diesem Spiegel geht niemand ein Risiko ein. Bei diesem Spiegel sind Nebenwirkungen absolut unmöglich. Welchen Spiegel hatte eigentlich der beklagenswerte 60jährige mit seinem Nierenschaden? Auch das wurde nicht dokumentiert. Ich schätze, dass er einen Spiegel von weit über 100 ng/ml aufwies, was eben wirklich nicht mehr gesund sein kann.

In diesem Sinne: Messen Sie im Winter mal Ihren Vitamin D-Spiegel, nehmen Sie so viel ein, dass Sie über 40 ng/ml kommen und dann: alles Gute für Ihre Gesundheit!

Mit sonnigen, Vitamin D-reichen Grüßen,
Ihr Dr. Volker Schmiedel

P.S.: Ich bitte um Verständnis und Entschuldigung dafür, dass ich bereits in diesem Teil des Newsletters teilweise so polemisch geworden bin, wie ich es sonst nicht bin und wie Sie es sonst nur von meinem Kollegen Dr. Querulantius kennen. Aber bei sehr dummen Verlautbarungen werde ich einfach emotional. Und wenn die Folgen daraus auch noch gefährlich sind, dann fahre ich schon mal aus der Haut. Aber keine Sorge: Quintus Querulantius wird noch einen draufsetzen!

 

Studie des Monats

Welche Auswirkungen hat Vitamin D in der Schwangerschaft auf das Kind?

Natürlich muss es in diesem Monat eine weitere Vitamin D-Studie sein. In dieser Meta-Analyse (5) wurden 24 (!) Studien zu dieser Thematik zusammengefasst. Es existiert also eine wirklich große Datenlage. In der Geburtshilfe gibt es den Begriff SGA (small for gestational age), die Feten sind also zu klein für ihr Gestationsalter, was als nicht günstig angesehen wird. Das Risiko für SGA ist unter Vitamin D-Supplementation der Mutter in der Schwangerschaft um 28 % verringert. Kinder, deren Mütter Vitamin D nahmen, hatten bei Geburt ein um 75 g höheres Gewicht und nach einem Jahr ein 320 g höheres Gewicht, was als günstig angesehen wird. Der wichtigste Punkt ist aber sicher: Kinder, deren Mütter in der Schwangerschaft bis zu 2000 IE Vitamin D genommen hatten, wiesen eine um 65 % verringerte Sterblichkeit während der Schwangerschaft oder um die Geburt herum auf im Vergleich zu den Kindern, deren Mütter ein Placebo bekommen hatten. 2/3 weniger tote Feten und Säuglinge! Müsste nicht jeder Gynäkologe und jede Hebamme die werdende Mutter mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln dazu animieren, Vitamin D zu nehmen? Ohne Messung würde ich nach dieser Meta-Analyse 2000 IE empfehlen. Besser noch ist die Laboruntersuchung und die Einstellung auf „natürliche Werte“, wie sie Maasai-Krieger in Tansania oder Landschaftsgärtner in der Schweiz aufweisen.

aufgeschnappt und kommentiert – aufgeschnappt und kommentiert

Was ist gefährlicher – Vitamin D oder ein Journalist, der davor warnt?

Dr. med. Quintus Querulantius merkt hierzu an: Wussten Sie, dass Journalisten zu den unbeliebtesten Berufsgruppen überhaupt gehören. Sie befinden sich laut Umfragen auf einem Niveau mit Gebrauchtwagenhändlern und Politikern, während Krankenschwestern, Ärzte (trotz aller Schwierigkeiten im Gesundheitssystem und den schwarzen Schafen, die es paradoxerweise auch unter den Trägern der weißen Kittel gibt) und Feuerwehrleute immer weit vorne rangieren. Nach dem Lesen des Berichtes der Aargauer Zeitung weiß ich, warum dies so ist. Zur Klarstellung: Es gibt selbstverständlich auch Journalisten, die ihren Beruf und dessen Verantwortung ernst nehmen, die sauber recherchieren, bevor sie publizieren, und die informieren statt manipulieren wollen. Dies alles hat der Kollege der Aargauer Zeitung geflissentlich ignoriert. Wenn er es unbewusst getan hat, war er bestenfalls naiv und schlimmstenfalls dumm wie Bohnenstroh. Wenn er es jedoch vorsätzlich getan hat, kann ich das nicht mehr benennen, ohne eine Klage wegen Beleidigung zu riskieren.

Es beginnt schon mit der Recherche: Welche Dosis haben die beiden Vitamin D-Opfer genommen? Die vermutliche Ursprungsquelle nennt sie, die Aargauer Zeitung interessiert sich nicht für den wichtigsten Fakt der ganzen Angelegenheit. Dass die Dauer der Einnahme der unverantwortlich hohen Dosierungen von 10.000 bis 50.000 IE oder der Vitamin D-Spiegel unter den Tisch fallen, sind da schon fast belanglose Nebensächlichkeiten.

Dem Vitamin D werden immer zwei Fehler unterstellt: Es habe gar keine präventiven oder therapeutischen Wirkungen bei bestimmten Indikationen. Es sei sogar gefährlich. Dafür werden dann im ersten Fall „wissenschaftliche“ Studien und im zweiten Fall Einzelfälle angeführt, die so häufig sind wie Kolibris im Schwarzwald.

Begleiten Sie mich doch einmal auf zwei Gedankenexperimente:

1. Ich habe eine Studie zur Wirksamkeit von Beta-Blockern zum Schutz vor koronarer Herzkrankheit durchgeführt (habe ich natürlich nicht, wir denken uns das mal). Die Studie war jedoch ein Schlag ins Wasser. Im Vergleich zu Placebo konnte ich keine statistisch signifikante Verbesserung nachweisen. Ich stelle meine Untersuchungsergebnisse mit breiter Brust auf einem wichtigen Kardiologenkongress vor. Die Kollegen würden mich natürlich sofort nach den genauen Studienbedingungen insbesondere nach der eingesetzten Dosis fragen. Stolz berichte ich, dass die Probanden der Verumgruppe einmal in der Woche 25 mg Metoprolol erhalten haben (die übliche Dosis beträgt 50-100 mg – am Tag). Bestenfalls würden die Kardiologen mich auslachen, schlimmstenfalls würden sie mich steinigen. Jedenfalls im wissenschaftlichen Sinne – mit einer so töricht angelegten Studie wäre ich sofort aus der scientific community ausgeschlossen. Es ist schon irgendwie tragikomisch, dass beim Vitamin D genau solche blödsinnig entworfenen Studien mit wirkungslosen Unterdosierungen zum „Beweis“ für die Unwirksamkeit von Vitamin D herangezogen werden.

2. Ich lege eine Kasuistik vor, bei der es unter einem Beta-Blocker zu einer schweren Nebenwirkung gekommen ist (natürlich auch nur fiktiv). Ein Patient erlitt einen Kollaps und verursachte einen schweren Verkehrsunfall. Ursächlich dafür war der Beta-Blocker, den der Patient wegen einer stressbedingten Hypertonie einnahm. Er nahm allerdings nicht die vom Hausarzt empfohlene Dosis von 100 mg, sondern – sicher ist sicher – 500 mg am Tag ein. Dies führte dann zu einem Blutdruckabfall, der den Patienten kollaptisch werden ließ und den Unfall verursachte. Würden wir jetzt vor Beta-Blockern warnen oder vor einer unverantwortlichen eigenmächtigen Überdosierung? Beim Vitamin D wird aber eine wirklich idiotische Überdosierung nicht dem Fehlverhalten eines unkritischen und uniformierten Patienten zugeordnet, sondern das arme Vitamin D wird dafür verantwortlich gemacht.

Was mich aber wirklich ärgert: Endokrinologen, die es eigentlich wissen müssten, warnen entgegen allen wissenschaftlichen Gepflogenheiten und wider jeglichem gesunden Menschenverstand vor einem in der ausreichend hohen Dosierung nützlichen und in der nicht zu hohen (und am besten kontrollierten) ungefährlichen Nährstoff. Journalisten erdreisten sich, einen Nährstoff zu schmähen, mit dem vielen Patienten geholfen werden könnte, um die Gier einer vermeintlich sensationslüsternen Leserschaft zu befriedigen. Nur schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten!

Mit diesem Schüren von Panik vor dem angeblich gefährlichen Vitamin D werden bestenfalls einige Menschen davon abgehalten, unverantwortlich hohe Dosierungen einzunehmen (obwohl ich befürchte, dass sich gerade solche Menschen nicht von einem tendenziösen Zeitschriftenartikel davon abhalten lassen). Die Menschen aber, denen vernünftige Dosen von Vitamin D, kontrolliert, kritisch und differenziert eingesetzt, bei Ihren Krankheiten eine sehr große Hilfe sein könnten, werden davon abgehalten, das für sie hilfreiche Vitamin D in einer für sie nützlichen Dosis zu nehmen. Ein solcher Journalist und ein solcher Artikel vermeidet kaum Schäden durch Überdosierungen, er leistet aber Krankheiten durch Vitamin D-Mangel Vorschub, weil Menschen von der Einnahme von Vitamin D abgehalten werden. Ein solcher Journalist und eine solche Berichterstattung sind gefährlich für die Gesundheit der Leser!

Noch einmal zusammengefasst:

  • In epidemiologischen Studien gibt es deutliche statistische Zusammenhänge zwischen Vitamin D-Mangel und vielen Krankheiten.
  • Ein statistischer ist noch kein ursächlicher Zusammenhang.
  • Aber zumindest bei einigen Krankheiten konnte mittlerweile eine Vermeidung oder eine Verbesserung durch Vitamin D nachgewiesen werden.
  • Die Werte der meisten Menschen liegen weit von den Werten bei natürlicher Lebensweise entfernt.
  • Selbst wenn man die (vermutlich zu niedrigen) Labornormwerte zugrunde legt, befindet sich mehr als die Hälfte der Bevölkerung im Mangel.
  • Mängelwerte begünstigen wahrscheinlich viele Krankheiten.
  • Mit dem Erreichen optimaler Werte wird niemandem geschadet.
  • Überdosierungen sind möglich, aber sehr selten.
  • Dafür bedarf es der längeren und unkontrollierten Einnahme immens hoher Dosen.
  • Wenn wir uns artgerecht verhalten würden – also den überwiegenden Teil des Tages draußen verbringen würden -, dann hätten wir vermutlich alle optimale Werte.
  • Der „Normalo“ mit einer überwiegenden Lebensweise in Innenräumen benötigt etwa 2000-8000 IE, um in den optimalen Bereich zu kommen.
  • Bis 4000 IE bedarf es überhaupt keiner Laborkontrolle, die Dosis ist sicher.
  • Am besten vor Beginn einer Einnahme, auf jeden Fall aber unter einer regelmäßigen Einnahme von mehr als 4000 IE sollte der Spiegel kontrolliert und die Dosis danach angepasst werden.
  • Ein Mangel ist häufig und gefährlich.
  • Eine Überdosierung ist selten und auch gefährlich.
  • Journalisten, die die oben aufgeführte differenzierte Betrachtung leugnen und tendenziös und sensationsheischend nur die Gefahren der Überdosierung, nicht aber des Mangels schildern, sind erst recht gefährlich.
Viel Erfolg und im Poincaréschen Sinne eine gesunde Mischung aus Zweifeln und Glauben wünscht Ihnen
Ihr Dr. med. Quintus QuerulantiusP.S.: …und einen sonnigen und Vitamin D-reichen Sommer obendrein!

aufgeschnappt und kommentiert – aufgeschnappt und kommentiert

Literaturliste – für alle, die wissenschaftlich tiefer bohren und die wissenschaftlichen Quellen erkunden möchten, unter http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed können Sie die Abstracts (in Englisch) nachlesen und manchmal auch Links zu den Originalarbeiten finden:
  1. Martineau AR et al.: Vitamin D supplementation to prevent acute respiratory tract infections: systematic review and meta-analysis of individual participant data. BMJ 2017; 356 doi: https://doi.org/10.1136/bmj.i6583
  2. Ascherio A, Munger KL, Simon KC: Vitamin D and multiple sclerosis. Lancet Neurol. 2010 Jun;9(6):599-612. doi: 10.1016/S1474-4422(10)70086-7.
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