Sehr geehrter Herr Dr. Schmiedel,
mit großem Interesse habe ich Ihre Beiträge gelesen. Ich selbst bin chron. krank. Ich habe seit 43 Jahren Migräne (die letzten 8 Jahre täglich 1-2 Anfälle). Außerdem leide ich an PBC im Frühstadium, chron. Schwermetallbelastung (starke Erhöhung von Arsen und Quecksilber), chron. Magenschleimhautentz. (ausgedehnte intestinale Metaplasie), Refluxkrankheit, Reizdarm, genetische Histaminintoleranz, div. weitere Nahrungsmittelunverträglichkeiten, Alopezia Areata und KPU. Ich bin seit 2014 bei einem Umweltmediziner hier in Kiel in Behandlung. Dort wurde 2015 ein sog. TNF-Alpha-Hemmtest gemacht. Dort kam heraus, dass bei mir Omega3 proentzündlich wirkt. Deshalb wäre nun meine Frage, ob ich denn trotzdem das von Ihnen empfohlene Fischöl einnehmen kann. Ich nehme ansonsten täglich 100-150 µg Selen, 40 mg Zinkorot, Kryptosan forte, Mariendistel, Eisen, Biotin und Innovall RDS.
Ich würde mich sehr über Ihre geschätzte Meinung freuen.
Antwort
TNF-Alpha ist ein wichtiger Entzündungsmediator – aber nur einer von vielen. Es gibt noch verschiedene Prostaglandine, Leukotriene, Interleukine, Zytokine, Resolvine, Protectine und viele Botenstoffe mehr, von denen einige eine proentzündliche und andere eine antientzündliche Wirkung aufweisen. Die Studien, die ich kenne, haben alle ergeben, dass proentzündliche Mediatoren durch Omega-3 gehemmt und antientzüdliche Botenstoffe durch Omega-3 gefördert werden. Aber diese Studien sind alle an echten Menschen im Vorher-Nachher-Test und nicht in einem Reagenzglas wie der TNF-Hemmtest gemacht worden. TNF-Alpha ist nur ein winziger Bestandteil des sehr komplexen Immunsystems. Ich würde niemals meine Entscheidung von so einem einzigen Test abhängig machen (der auch nicht ganz billig ist, dafür hätten Sie schon Liter eines guten Fischöls bekommen). Stellen Sie sich vor, TNF-Alpha würde tatsächlich ausgerechnet bei Ihnen durch Omega-3 negativ, aber alle anderen Entzündungsmediatoren positiv beeinflusst werden – dann hätten Sie aufgrund eines solchen wirklich sehr speziellen Einzeltests eine falsche Entscheidung getroffen!
Ein solcher Einzeltest ist ein gutes Beispiel für “den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen”. Da hat jemand mit dem Mikroskop auf ein kleines Stück der Rinde eines Baumes gesehen (TNF-alpha), aber der Blick auf den Wald (die gesamte Entzündungssituation) ging verloren. Das ist keine Ganzheitsmedizin, sondern eine analytische (= zerschneidende), reduktionistische Schulmedizin mit einem scheinbar naturheilkundlichen Anstrich.
“Entscheidend ist immer, was hinten rauskommt” – wie schon unser Altbundeskanzler Kohl wusste. Wir wollen ja nicht einen Einzelwert, sondern das Ganze beeinflussen. Mein Vorschlag daher: Lassen Sie eine Fettsäureanalyse durchführen. Nehmen Sie dann 1-2 EL Fischöl für 3 Monate, kontrollieren Sie die Fettsäuren nochmals – optimal ist ein AA/EPA-Quotient unter 2,5. Und lassen Sie vorher CRP und Leberwerte messen.
Sind diese Werte nach 3 Monaten besser? Und wie geht es Ihnen nach 3 Monaten subjektiv? Dann würde ich meine Entscheidung treffen. Es würde mich sehr wundern, wenn es Ihnen nicht besser ginge.
Mit freundlichen Grüßen und alles Gute,
Dr. Volker Schmiedel