Für den Urlaub hatte ich mir vorgenommen, einen kleinen Artikel zur naturheilkundlichen Behandlung von Migräne zu verfassen. Da wusste ich allerdings noch nicht, in welches Wespennest ich hineinstechen würde. Erstaunlich war nicht, wie viele verschiedene Optionen es gibt, Migräne auch naturheilkundlich zu beeinflussen, sondern wie gut diese Möglichkeiten sogar wissenschaftlich abgesichert sind. Noch erstaunlicher fand ich dann allerdings, dass davon aber auch gar nichts in die Leitlinien der Neurologen zur Therapie von Migräne Eingang gefunden hat. Doch dazu im Kommentar später mehr.

Ich möchte mich jetzt schon dafür entschuldigen, dass dieser Beitrag keinesfalls Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, sondern dass ich mich vielmehr auf einige mir wichtig erscheinende Aspekte beschränken möchte, sonst hätte ich ein ganzes Buch dazu schreiben müssen.

Migräne – wie ein Stück glühende Kohle im Kopf

Drei mir wichtige Punkte in der Entstehung und Entwicklung einer Migräne sind:

  • Spannung (Muskeln, Gefäße)
  • Hormone (Serotonin, Progesteron)
  • Entzündung (Vitamin D- und Omega-3-Mangel)

Einige andere „kleinere“ zusätzliche Tipps, die im Einzelfall hilfreich sein können, möchte ich am Ende doch nicht unerwähnt lassen (z.B. Bewegung, Pfefferminzöl).

Häufigkeit

Laut epidemiologischen Erhebungen sollen in westlichen Industrieländern 10-15 % der Bevölkerung unter Migräne leiden. Damit ist diese eine der großen Volkskrankheiten. Sogar Kinder sind bis zu 5 % davon betroffen, hierbei gleich viele Jungen und Mädchen. Erstaunlicherweise wird dies nach der Pubertät anders. Während die Zahl bei den Jungen etwa gleich bleibt (6 % aller Männer haben Migräne), steigt sie bei den Frauen rapide an (mit 18 % dreimal so viele wie Männer). Der Verdacht, dass hormonelle Gründe dafür mitverantwortlich sein könnten, wird durch die Tatsache gestützt, dass nicht wenige Frauen prämenstruell eine verstärkte Migräneneigung angeben. Umgekehrt sinken Migräneanfälle im Verlauf der Schwangerschaft um mehr als die Hälfte ab.

Migräne ist sicher eine komplexe Erkrankung mit mehreren Ursachen und vielen Auslösern. Die individuelle Bandbreite der Ursachen ist vermutlich sehr hoch, möglicherweise hat jeder Betroffene „seine eigene Migräne“. Der eine reagiert mehr auf Wetterwechsel, der andere vielleicht auf bestimmte Nahrungsmittel und der nächste ist sehr empfindlich auf Alkohol. Aber einige Gemeinsamkeiten sind doch immer wieder zu beobachten.

Spannung/Anspannung

Gibt es so etwas wie eine „Migränepersönlichkeit“? Darüber streiten Neurologen und Psychosomatiker seit Jahrzehnten. Bisher ist man sich nur darüber einig, dass man sich nicht einig ist. Wissenschaftlich eindeutige Beweise stehen jedenfalls noch aus. Aus meiner eigenen Erfahrung kann ich allerdings sagen, dass bei mir ein Migränepatient noch nie zu spät zum Termin gekommen ist – und wenn, dann hat er sich tausendmal dafür entschuldigt. Ich denke, man tut Migränepatienten nicht unrecht, wenn man sie als besonders zuverlässig, sorgfältig und pünktlich beschreibt – zusammengefasst und dann auch schon etwas wertend, würde man das auch perfektionistisch nennen. Nach meiner Erfahrung wollen Menschen mit Migräne es allen recht machen, stellen besonders hohe Ansprüche an sich selbst und wirken nicht selten angespannter als viele andere Menschen. Dies ist meine subjektive Einschätzung, die ich mit vielen anderen teile, und bei der es mich sehr wundert, dass dies nicht in Untersuchungen so nachgewiesen werden kann.

Früher hatte man ganz klar zwischen Spannungskopfschmerz und Migräne und vielen weiteren Kopfschmerzarten unterschieden. Heute scheinen mir die Grenzen aufzuweichen. Eigentlich sollten die üblichen Kopfschmerzmittel ASS/NSAR/Paracetamol besonders beim Spannungskopfschmerz helfen, die Triptane waren jedoch für die klassische Migräne vorgesehen. Dies wurde sogar als diagnostisches Kriterium eingesetzt: Wenn ein Triptan im Anfall gut half, dann musste es doch eine Migräne sein. Dies gilt heute nicht mehr. Es gibt von der Symptomatik her klassische Migränen, bei denen Triptane nicht ansprechen. Und es gibt eindeutigen Spannungskopfschmerz, der mitunter durch Triptane besser wird.
Viele Kopfschmerzpatienten (natürlich besonders die mit dem Spannungskopfschmerz), nach meinem Eindruck aber auch viele Migränepatienten weisen starke Verspannungen im Schulter Nackenbereich auf. Alles, was hier Anspannungen mildern könnte (z.B. Yoga, PMR, Meditationen, AT – besonders die „Stirnkühleübung“ -, dynamische körperliche Bewegung, Wärme, Biofeedback-Verfahren), könnte hier hilfreich sein.

Wir wissen aber auch, dass beim Migräneanfall eine veränderte Spannung in den Gefäßen im Kopf vorliegt. Im Anfall sind die Gefäße oft stark erweitert, was zu einer Aktivierung der Dehnungsrezeptoren in den Gefäßwänden führt. Diese so genannte vaskuläre Hypothese der Migräne wird gestützt durch die Tatsache, dass gefäßverengende Mittel wie die Mutterkornalkaloide (Anmerkung: bei Vergiftungen mit Mutterkorn als Getreideverunreinigung kam es früher zu so starken Gefäßverengungen, dass sogar Gliedmaßen abgestorben sind, früher auch als Antoniusfeuer bekannt), gut bei Migräne helfen, indem sie die erweiterten Gefäße wieder zusammenziehen. Man erkennt solche Medikamente daran, dass sie im Namen irgendwo die Bezeichnung „-ergot-„ tragen. Gefäßerweiternde Medikamente wie Nitrate oder Kalziumantagonisten führen hingegen häufig zu Kopfschmerzen.

Könnten wir also unsere Gefäßspannung natürlich regulieren, hätten wir möglicherweise ein gutes Mittel zur Verminderung von Migräneanfällen in der Hand. Was verbessert die körpereigene Gefäßregulation besonders gut? Wechselwarme Anwendungen wie etwa Sauna oder Wechselduschen (1-2 Minuten warm duschen, dann einige Sekunden ganz kalt, das Ganze zwei- bis dreimal wiederholen) sollten hier hilfreich sein, auch wenn ich keine Studien hierzu gefunden habe. Aber jeder kann das ja mal selbst für einige Monate ausprobieren. Bei jedem Duschen am Schluss die Wechseldusche und/oder 1-2x pro Woche Sauna. Man muss bei der Wechseldusche nicht gleich mit dem ganzen Körper beginnen. In der ersten Woche reichen die Beine, in der zweiten Woche kommen die Arme hinzu, in der dritten Woche dann noch der Kopf und ab der vierten Woche auch der Rumpf. Dabei immer in dieser Reihenfolge für wenige Sekunden kalt duschen.

Alles, was die körpereigene Gefäßregulation stört, müsste demnach kontraproduktiv sein. Einer der stärksten Faktoren ist hier für mich das Koffein. Meine Migränepatienten sind immer sehr erstaunt und leisten meist auch hartnäckigen Widerstand, wenn ich Ihnen vorschlage, auf Koffein für eine Woche komplett zu verzichten und danach jeden zweiten bis  dritten Tag eine mindestens 24-stündige Pause einzulegen. Sie wollen nämlich gar nicht auf den Kaffee verzichten, weil er ihnen doch so gut tut, sie ohne ihn nicht in die Gänge kommen, ein beginnender Kopfschmerz damit manchmal noch kupiert werden kann und sie schon Kopfschmerzen bekommen haben, nachdem sie ihn mal weggelassen haben. Und gerade das sind die Hinweise auf eine bereits bestehende Abhängigkeit. Koffein ist – im pharmakologischen Sinne – eine Droge, die eine körperliche Abhängigkeit verursachen und deren Weglassen in vielen Fällen körperliche Entzugssymptome zur Folge haben kann.

Laptop Kaffee

Kaffee und Stress – beste Grundlagen für Migräne

Mein Tipp also: Jeder Migränepatient sollte einmal für eine Woche komplett auf jegliche koffeinhaltige Produkte verzichten – also Kaffee, koffeinfreier (!) Kaffee (richtiger Getreidekaffee ist erlaubt), Schwarztee, Grüntee, Mate, Schokolade, Kolagetränke, Guarana, Energydrinks etc. Ich warne Sie jedoch: Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird es zu Kopfschmerzen oder gar einem schweren Migräneanfall kommen – was dann aber ein gutes Zeichen wäre, denn dann hätten wir eine Ursache für die Migräne – nämlich die Koffeinabhängigkeit – erkannt und könnten ihr begegnen. Schmerztabletten sind dann erlaubt – aber selbstverständlich nur solche ohne Koffein. Nach zwei bis drei Tagen geht es den meisten dann wieder besser (daher den Koffeinentzug immer im Urlaub oder am Wochenende beginnen). Und danach geben die meisten meiner Patienten an, dass sie deutlich weniger Anfälle bekommen, diese weniger schwer oder lang sind und auch häufig auf niedrigere Medikamentendosen besser ansprechen. Ich hatte auch schon Patienten, die vorher bei Kopfschmerzspezialisten oder in Migränespezialkliniken waren und die sich dann darüber wunderten, warum sie von diesem Vorschlag dort noch nie gehört haben, obwohl er ihnen besser geholfen habe als alle anderen Empfehlungen vorher!

In einer Meta-Analyse fanden Forscher (1), dass etwa 70 % der 12-15jährigen Kinder mindestens einmal in 3 Monaten unter Kopfschmerzen leiden (das war nicht nur reine Migräne, aber immerhin finde ich diese Zahlen bedenklich hoch). Knapp 40 % haben sogar mindestens einmal pro Woche Kopfschmerzen. Als Risikofaktoren hierfür wurden unter anderem instabile Familienverhältnisse, aber auch Bewegungsmangel, Rauchen, Alkohol und eben auch der Konsum von Koffein ausgemacht.

Migräne StudieIn einer Interventionsstudie hat man 62 moderate Kaffeetrinker (durchschnittlich 2,5 Tassen pro Tag) in zwei Gruppen eingeteilt. Die eine Gruppe erhielt eine Tablette mit Koffein, die andere ein Placebo. Nach zwei Tagen mussten alle Probanden mehrere Befindlichkeitsfragebögen ausfüllen. Während es in der Koffeintablettengruppe praktisch keine Unterschiede gab, schilderten sich die Mitglieder der Placebo-Gruppe als deutlich depressiver, gaben weniger Energie an und hatten vor allem wesentlich mehr Kopfschmerzen – und das, obwohl es sich nicht um Kopfschmerz/Migränepatienten handelte (siehe Abb.). Die Forscher folgerten daraus, dass das Weglassen von Kaffee bei moderaten Kaffeetrinkern zu körperlichen Entzugssymptomen, vor allem zu Kopfschmerzen führt (2). Dies galt für Menschen ohne Kopfschmerzen/Migräne. Bei meinen diesbezüglichen Patienten habe ich den Eindruck, dass diese auf einen Koffeinentzug noch viel empfindlicher reagieren.

Hormone und Kopfschmerz/Migräne?

Bleiben wir bei der Spannung und wechseln doch gleichzeitig zu den Hormonen. Wie das geht? Nun, Serotonin bedeutet wörtlich übersetzt „Gefäßspannung“. Noch vor der Wirkung als „Glückshormon“ war also dessen Wirkung als Botenstoff bekannt, der auch die Gefäßspannung mitreguliert. Nicht umsonst wirken Mutterkornalkaloide, Triptane, trizyklische Antidepressiva und SSRI, die alle schulmedizinisch im Anfall oder prophylaktisch eingesetzt werden, über die Serotoninrezeptoren. Wenn ich aber weiß, dass Serotonin in der Kopfschmerzregulation eine Rolle spielt, warum sorge ich denn nicht dafür, dass der Körper natürlicherweise selbst mehr bildet? Und das geht ganz einfach: Ich gebe Serotoninvorstufen wie das L-Tryptophan (1-2 g zur Nacht) oder 5HTP (noch näher am Serotonin dran, daher nur 100-200 mg zur Nacht). Achtung: Nicht zusammen mit SSRI und Trizyklika einnehmen. Direkt zusammen mit Triptanen oder Mutterkornalkaloiden würde ich es auch nicht nehmen – im Zweifel den Apotheker fragen, ob Sie solche Medikamente einnehmen.

Wann sollte man an Serotoninvorstufen denken? Besonders wenn neben der Migräne noch andere Symptome auf einen Mangel hinweisen:

  • Schlafstörungen (besonders Durchschlaf)
  • Neigung zu Depressivität
  • Allgemeine Schmerzempfindlichkeit
  • Neigung zu Ängsten
  • Hunger auf Süßes oder Kohlenhydrate

Es müssen nicht alle Symptome vorliegen, um einen Versuch zu starten. Wenn gar kein weiteres Symptom vorliegt, wird es wohl nicht funktionieren. Wenn allein noch der Süßhunger vorliegt – wenn er denn wirklich ausgeprägt ist – würde mir das auch reichen. Nebenbei: Omega-3-Fettsäuren, zu denen wir später kommen, unterstützen auch die körpereigene Serotoninbildung – darum wirken sie auch anti-depressiv.

Serotonin bei Migräne

Serotonin – einer der wichtigsten Neurotransmitter ist auch bei Kopfschmerz beteiligt

Das zweite wichtige Hormon ist das Progesteron. Wenn die Beschwerden mit Beginn der Periode bei Mädchen angefangen haben, wenn in der letzten Woche des Zyklus eine erhöhte Kopfschmerzneigung gegeben ist oder wenn in der Schwangerschaft die Migräne deutlich zurückgegangen ist, dann würde ich auf jeden Fall hier weiter hinschauen. Lassen Sie dann eine Speichelhormonuntersuchung (das ist ganz wichtig, kein Serum, wie es meist immer noch fälschlich gemacht wird) auf Östrogen und Progesteron etwa 1 Woche nach dem Eisprung (bei 28tägigem Zyklus als etwa am 21. Tag, sonst entsprechend früher oder später) bei jemandem veranlassen, der sich in der Diagnostik von und der Therapie mit naturidentischen Hormonen wirklich gut auskennt. Nicht selten wird eine Östrogendominanz mit einem relativen Progesteronmangel gefunden. Geringste Mengen an naturidentischem Progesteron können dann viel bewirken. Es ist sehr bedauerlich, dass sich Gynäkologen, Endokrinologen und Neurologen diesem einfachen und für den Patienten oft sehr beglückenden Thema bisher kaum angenommen haben.

Migräne ist auch Entzündung

In vielen Fällen muss es gar nicht gleich der „Triptan-Hammer“ sein, der den Migräneanfall beendet. In vielen Fällen tun es immer noch ASS (z.B. das gute, alte Aspirin®) oder NSAR (z.B. Diclofenac, Ibuprofen). Und wie wirken diese? Sie hemmen das Enzym Cyclooxygenase, welches aus Omega-6-Fettsäuren entzündungsfördernde Prostaglandine erzeugt. Und genau hier setzen die Omega-3-Fettsäuren an. Sie wirken sogar dreifach entzündungshemmend: Bei hoher Zufuhr an Omega-3-Fettsäuren (da reichen ein oder zwei Kapseln aber nicht mehr aus) werden weniger Prostaglandine aus Omega-6-Fettsäuren gebildet, da die Kapazität der Cycolooxygenase beschränkt ist (kompetitive Hemmung). Aus Omega-3-Fettsäuren werden auch Prostaglandine gebildet, aber solche, die entzündungshemmend wirken. Aus Omega-3-Fettsäuren werden noch andere Botenstoffe gebildet wie Protectine oder Resolvine, die allesamt entzündungshemmende Eigenschaften aufweisen. Leider gibt es im Gegensatz zu anderen Indikationen bisher nur wenige Studien zu Omega-3 und Migräne. Eine brandaktuelle und sehr überzeugende Arbeit wird weiter unten als Studie des Monats vorgestellt.

Kopf raucht

Wenn der Kopf raucht – Migräne hat auch mit Entzündung zu tun

Die zweite wichtigste entzündungshemmende Substanz ist das Vitamin D. Dass Vitamin D bei Rheuma, Asthma oder MS die Entzündungsaktivität deutlich verbessert, ist schon lange bekannt, dass es aber Migräne zu lindern vermag, ist eine relativ neue Erkenntnis. In einer Studie von 2015 (3) erhielten 56 Migränepatienten 10 Wochen lang 7000 IE Vitamin D täglich oder Placebo. Hierunter sank die Migränefrequenz innerhalb der 10 Wochen von 8,0 auf 7,0 in der Placebo-, aber von 8,4 auf 5,9 in der Verumgruppe. Ein Score, der Häufigkeit, Schwere und Länge der Migräneanfälle berücksichtigt, sank von 173 auf 132 in der Placebo-, aber von 170 auf 85 in der Verumgruppe, was statistisch signifikant war (p < 0,05).

Was gibt es noch?

Phytotherapie:

  • Bei beginnendem Kopfschmerz können Sie einen Tropfen Pfefferminzöl auf die schmerzende Stelle auftragen (Achtung bei Stirnkopfschmerz: das Öl darf natürlich nicht in die Augen gelangen). Auch diese Wirkung konnte in einer Studie verifiziert werden (4).
  • Bei beginnender Migräne hat sich ein Tropfen 10 %iges Lavendelöl (1 Tr. reines Lavendelöl auf 9 Tr. Olivenöl) auf der Oberlippe als Aromatherapie sehr bewährt. Auch dies wurde in einer Studie belegt (5).
  • Prophylaktisch sind Pestwurzpräparate bewährt. Auch hierfür gibt es Studien, z.B. (6).

Ist Migräne etwa auch eine Allergie?

Viele Migränepatienten geben an, auf bestimmte Lebensmittel mit einem Anfall zu reagieren. Wenn solche Lebensmittel klar erkannt werden, sollten die Patienten solche natürlich meiden. In einer schon älteren Studie von 1983 (7) wurden Patienten aufgefordert, Lebensmittel mit hohem Allergiepotential zu meiden. Bei Verdacht auf eine Beteiligung von Lebensmitteln an der Migräne würde ich immer einen umfassenden Bluttest auf das Vorhandensein von IgG-Antikörpern durchführen. Die dabei positiv getesteten Lebensmittel sollten zunächst für einige Wochen streng gemieden werden, um zu schauen, ob hierunter bereits eine Verbesserung zu erzielen ist. Dann kann nach und nach mit den positiven Lebensmitteln ein Provokationstest unternommen werden, um herauszufinden, ob hierunter Migräne auftritt. Diese Lebensmittel sollten dann zukünftig konsequent gemieden werden.

Sport hilft auch

Auch hier wieder eine uralte Studie. 93 % von 88 Kindern mit Migräne erzielten unter einer oligo-antigenen Diät eine deutliche Verbesserung ihrer Beschwerden (8). Leider gibt es weder zu Bewegung, noch zu Ernährung weitere Studien, obwohl dies möglicherweise ein ergiebiges Thema bei Migräne wäre. Offensichtlich haben Schmerzforscher oder Neurologen weniger Interesse an solchen Studien als an solchen mit Medikamenten. Jedem Betroffenen steht es aber frei, sich so viel wie möglich körperlich zu belasten. Dabei sind eher intensive Belastungen (z.B. Laufen im anaeroben Bereich, Muskeltraining nahe an der Maximalkraft) zu meiden, sondern es ist eher im Ausdauerbereich zu trainieren. Mindestens dreimal pro Woche mindestens eine halbe Stunde Sport unter aeroben Bedingungen (z.B. Puls 180 minus Lebensalter bzw. nicht außer Puste geraten).

Ausdauersport

Ausdauerbelastungen halten fit – und schützen vor Migräne

Zum Schluss noch einmal ein Nährstoff

Eines meiner Lieblingsminerale ist das Magnesium. Es hilft nicht nur bei Herzrhythmusstörungen und Muskelkrämpfen, sondern schützt auch prophylaktisch vor Migräne. Hier gilt aber ganz besonders: Die Dosis macht´s!
In einer älteren Studie (9), auch hier gibt es keine brauchbaren aktuelleren, nahmen 81 erwachsene Patienten mit Migräne, die durchschnittlich 3,6 Anfälle pro Monat aufwiesen, zwölf Wochen lang 600 mg Magnesium täglich. In der Placebogruppe reduzierten sich die Migräneanfälle um 15,8 %, in der Magnesiumgruppe aber immerhin um 41,6 %. Die Anzahl der Migränetage und die Schwere der Anfälle nahm in der Magnesiumgruppe ebenfalls stärker ab. In der Magnesiumgruppe gab es allerdings deutlich mehr Durchfälle, was angesichts der hohen Magnesiumdosis nicht verwunderlich ist. Ich passe in der individuellen Therapie die Dosis immer der subjektiven Verträglichkeit an. Die Magnesiumdosis kann stufenweise gesteigert werden, sie kann auf zwei bis drei Dosen Magnesium pro Tag verteilt werden und wenn der Stuhl dünner wird, kann die Dosis wieder um eine Dosisstufe reduziert werden, so dass der Stuhl nur ein wenig weicher, aber nicht zu dünn wird.

Labor – was ist bei Migräne wichtig?

Üblicherweise werden gar keine Laborwerte im Zusammenhang mit Migräne untersucht. Ich finde es wichtig, folgende Werte zu untersuchen und zu optimieren:

  • Progesteron/Östrogen am 21. Zyklustag im Speichel (wenn der Verdacht auf eine hormonelle Komponente besteht)
  • Vitamin D (ein Spiegel von 40-60 ng/ml bzw. 100-150 mmol/l ist anzustreben)
  • Fettsäureanalyse (ein AA/EPA-Quotient unter 2,5 ist anzustreben)
  • Magnesium (wenn überhaupt, dann im Vollblut messen, eine Aufsättigung von Magnesium bis an die Durchfallgrenze kann aber auch ohne Messung erfolgen)
  • IgG-Nahrungsmittelallergietestung (wenn der Verdacht auf einen Zusammenhang mit Lebensmitteln besteht)

Mit einem solch subtilen diagnostischen und therapeutischen Vorgehen kann den meisten Migränepatienten oft erstaunlich gut weitergeholfen werden. Probieren Sie es bei sich oder Ihren Patienten aus! Über eine gelegentliche Rückmeldung würde ich mich sehr freuen.

Studie des Monats

Soares AA, Louçana PM, Nasi EP, Sousa KM, Sá OM, Silva-Néto RP: A double- blind, randomized, and placebo-controlled clinical trial with omega-3 polyunsaturated fatty acids (OPFA ɷ-3) for the prevention of migraine in chronic migraine patients using amitriptyline. Nutr Neurosci. 2017 Jan 5:1-5. doi: 10.1080/1028415X.2016.1266133.

In einer prospektiven, kontrollierten, Doppelblindstudie erhielten 60 Migränepatienten entweder Omega-3 oder Placebo. Eine Reduktion um mindestens 80 % der Anfälle wurde als Erfolg gewertet. Dies geschah immerhin bei einem Drittel der Placebo-Gruppe. Placebo-Effekte („etwas hilft mir deshalb, weil ich daran glaube“) spielen also bei der Migräne eine nicht unwesentliche Rolle. Aber zwei Drittel in der Omega-3-Gruppe erzielten eine Reduktion von mindestens 80 % der Anfälle. Die Omega-3-Gruppe lag also immerhin doppelt so gut wie Placebo bei einer geforderten wirklich massiven Verbesserung der Migränesituation. Dieser Unterschied war statistisch signifikant. Und ich meine, dass eine 80 %ige Verminderung der Migränefrequenz auch klinisch relevant ist. Es geht hier also nicht um kleinste Unterschiede, die sich zwar statistisch nachweisen lassen, aber klinisch für den einzelnen kaum bedeutsam sind, sondern um wirklich massive Unterschiede. Die Forscher folgern daraus, dass Omega-3-Fettsäuren in der Prophylaxe von Migräne hilfreich sind. Bemerkenswert ist, dass der Versuch nur 2 Monate dauerte und bereits solche dramatischen Erfolge zeitigte. Ich hätte ihn mindestens 3 Monate laufen lassen, um wirklich nachhaltige Effekte zu sehen. Die Studie ist vom Januar 2017. Es ist zu hoffen, dass sie unter Migränepatienten rasch bekannt wird und jeder seine eigenen Erfahrungen hierzu sammeln kann. Ob und wann sich diese Erkenntnisse in den Therapieempfehlungen der Neurologen und Schmerzambulanzen oder gar der Leitlinien (s.u.) niederschlagen, vermag ich nicht zu sagen. Ich würde als Betroffener jedenfalls nicht so lange warten wollen.

In meinem Video erkläre ich Ihnen warum Omega-3-Fettsäuren bei Migräne helfen können.

*aufgeschnappt und kommentiert – aufgeschnappt und kommentiert*

Migränepatienten müssen weiter unter der Leitlinienmedizin leiden

Dr. Med. Quintus Querulantius merkt hierzu an: Ich diffamiere die Leitlinienmedizin ja schon lange als „Leid“linienmedizin. Dabei bin ich durchaus optimistisch und hoffe darauf, mal zu einer Krankheit Leitlinien zu finden, die nicht nur dutzende Professoren in ihren akademischen Elfenbeintürmen aufgrund von Meta-Analysen und RCTs konzipiert haben, sondern die ich auch mit meinem empirischen Wissen am Patienten unterschreiben kann.

Dabei bin ich überhaupt kein Gegner der EbM (Evidenzbasierte Medizin), ganz im Gegenteil. So heißt es denn schließlich bei Wikipedia unter EbM: „Die Umsetzung der EbM in die Praxis bedeutet die Integration individueller klinischer Expertise mit der bestmöglichen externen Evidenz aus systematischer Forschung in einem mehrstufigen Prozess.“ Ja, Studien sind wichtig, aber die klinische Erfahrung sollte nicht unberücksichtigt bleiben – sagt ausdrücklich die EbM. In den Leitlinien finde ich dazu wenig. Und schon gar nicht in der S1-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. 25 Doktoren, Privatdozenten und Professoren aus Deutschland, Österreich und Schweiz haben sich den Kopf zerbrochen (und dabei hoffentlich keine Migräne bekommen): Leitlinie

Einige für mich sehr erstaunliche Punkte möchte ich daraus aufgreifen:

  • Nicht besonders erstaunt hat mich die Dominanz der medikamentösen Therapie. Hierzu gibt es natürlich die meisten Studien – ganz einfach, weil die Pharmaindustrie aus nachvollziehbaren Gründen viele Studien hierzu veranlasst hat. Triptane werden im akuten Anfall bevorzugt, aber auch ASS/NSAR haben eine gute Wirkung. Eine sehr gute Datenlage gibt es nach der Leitlinie zur Kombination von ASS/NSAR mit Koffein. Nicht dazu gesagt wird aber, dass Koffein die analgetische Wirkung nur gering verstärkt, dass Risiko für eine Abhängigkeit gegenüber den Schmerzmitteln aber deutlich verstärkt. Nicht gesagt wird auch, dass die Einnahme eines Schmerzmittels das Risiko für einen Kopfschmerzanfall in den nächsten Tagen gegenüber einer Nichteinnahme deutlich verstärkt. Werden 15 Schmerztabletten oder mehr im Monat genommen, ist von einer Abhängigkeit mit einem analgetikainduzierten Kopfschmerz auszugehen, wovon immerhin 5-8 % der Kopfschmerzpatienten betroffen sind. Das Risiko hierfür ist unter der Kombination mit Koffein massiv erhöht. Kein Wort zu alledem in der Leitlinie!
  • Bekannt ist, dass vor der Pubertät Mädchen und Jungen gleich häufig von Migräne befallen sind. Nach der Pubertät überwiegen die Frauen um das Dreifache. Viele Frauen haben prämenstruelle Kopfschmerzen. Und sogar in der Leitlinie wird ausdrücklich erwähnt, dass in der Schwangerschaft Migräne um 50-80 % zurückgeht. Wer denkt da eigentlich nicht an eine hormonelle Beteiligung? Richtig: Die Eminenzen der Leitlinie denken nicht daran! Sollte man bei Frauen mit einem verdächtigen Zusammenhang zu den Hormonen (und hier ist an die Imbalance Östrogen/Progesteron zu denken, s.o.) mal dieselben messen und bei Ungleichgewichten mal mit gering dosierten naturidentischen Hormonen behandeln? Nicht nach Ansicht der Leitlinienexperten.
  • Bleiben wir bei den Hormonen. Ein weiteres wichtiges Hormon im Zusammenhang mit Migräne ist das Serotonin. Wichtige Medikamente bei Migräne wie die Triptane, die Mutterkornalkaloide oder Antidepressiva/SSRI in der Prophylaxe wirken über Serotonin. Vielleicht könnte man ja mal über Maßnahmen nachdenken, mit denen man den Serotoninspiegel auf natürliche Weise erhöht? Kein Gedanke daran in der Leitlinie.
  • Hilft denn Naturheilkunde gar nicht? Doch! Es wird sogar eine Studie erwähnt, nach der Akupunktur im akuten Migräneanfall praktisch so gut wie ein Triptan wirkt. Was folgern die Autoren daraus: „Es besteht eine geringe Evidenz, dass die traditionelle chinesische Akupunktur in der Behandlung der akuten Migräneattacke wirksam ist.“ Hört sich nicht gerade nach einer euphorischen Empfehlung an oder? Vielleicht könnte man es ja wenigstens empfehlen, wenn Triptane nicht vertragen werden? Das wäre doch logisch. Aber auch hier Fehlanzeige.
  • Immerhin wird von den Naturheilverfahren die körperliche Bewegung empfohlen. Es gebe zwar keine Studie hierzu, aber schaden kann es ja schließlich nicht. Ja, geht´s noch? Ich habe innerhalb einer Minute und 3 Mausklicks eine entsprechende Studie aus dem Jahr 1992 gefunden, die einen klaren Schutzeffekt aufzeigt. Wollten oder konnten die 25 Akademiker diese Studie nicht finden? Sie entblöden sich aber nicht, dreist zu behaupten, es gebe einfach keine. Immerhin eine gibt es. Und die ist auch noch positiv. Warum gibt es denn nur eine, liebe Neurologen? Macht es einfach mehr Spaß, über Medikamente zu forschen? Oder zahlt einfach niemand für eine Bewegungsstudie? Das wäre doch mal was Neues und was Wichtiges.
  • Zurück zu den Medikamenten. In der Prophylaxe weiterer Anfälle ist das erste Mittel der Wahl immer noch der Beta-Blocker. Das würde ich ja gern meinen Patienten vorschlagen, aber kaum jemand der Migränepatienten ist dafür konstitutionell geeignet. Der typische Migränepatient ist nach meiner Erfahrung weiblich, eher fröstelig und leidet unter niedrigem Blutdruck. Genau diese Patientinnen ertragen aber lieber die Migräne als die Nebenwirkungen der Beta-Blocker, die sie in aller Regel überhaupt nicht vertragen, da der Blutdruck noch weiter absinkt, sie noch mehr frieren und einfach überhaupt nicht mehr in die Puschen kommen. Bin ich denn der einzige Arzt, der solche Patienten mit Migräne hat? Warum suche ich solche Hinweise, dass die meisten Migränepatienten die oft blutdrucksenkenden Prophylaktika gar nicht vertragen, vergebens in der Leitlinie? Und schlagen Sie denn nicht selten auch noch ängstlichen Patientinnen dann mal die Einnahme von Antidepressiva oder gar von Antiepileptika vor. Die Mittel, die helfen können, nehmen oder vertragen die Migräniker nicht. Und die Mittel, die ihnen wirklich helfen könnten (siehe oben), werden von den Neurologen völlig ignoriert.

So, nun wollen wir uns aber mal keinen Kopf machen. Genug gemeckert. Vielleicht sind die oben beschriebenen wirklich bei Migräne hilfreichen Dinge in 50 Jahren endlich mal Bestandteil der Leitlinien – ich gebe ja die Hoffnung nicht auf. Bis dahin machen wir doch mit der Leitlinie Migräne, was diese mit der Naturheilkunde macht: Einfach ignorieren! Es steht ja jedem frei, die obigen Vorschläge – von Wechselduschen bis Koffeinentzug – selbst zu probieren und damit eigenen Erfahrungen zu sammeln.

Viel Erfolg und einen klaren und kühlen Kopf dabei!
Ihr Dr. Quintus Querulantius

*aufgeschnappt und kommentiert – aufgeschnappt und kommentiert*

 

 

Quellen

Literaturliste – für alle, die wissenschaftlich tiefer bohren und die wissenschaftlichen Quellen erkunden möchten, unter http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed können Sie die Abstracts (in Englisch) nachlesen und manchmal auch Links zu den Originalarbeiten finden:

(1) Straube A, Heinen F, Ebinger F, von Kries R: Headache in school children: prevalence and risk factors. Dtsch Arztebl Int. 2013 Nov 29;110(48):811-8. doi: 10.3238/arztebl.2013.0811.

(2) Silverman K, Evans SM, Strain EC, Griffiths RR: Withdrawal syndrome after the double-blind cessation of caffeine consumption. N Engl J Med. 1992 Oct 15;327(16):1109-14.

(3) Mottaghi T, Askari G, Khorvash F, Maracy MR: Effect of Vitamin D supplementation on symptoms and C-reactive protein in migraine patients. J Res Med Sci. 2015 May;20(5):477-82.

(4) Göbel H, Heinze A, Heinze-Kuhn et al: Peppermint oil in the acute treatment of tension-type headache. Schmerz. 2016, 295-310

(5) Sasannejad P, Saeedi M, Shoeibi A et al: Lavender essential oil in the treatment of migraine headache: a placebo-controlled clinical trial. Eur Neurol. 2012, 288-91

(6) Pothmann R, Danesch U: Migraine prevention in children and adolescents: results of an open study with a special butterbur root extract. Headache. 2005, 196-203

(7) Egger J, Carter CM, Wilson J et al: Is migraine food allergy? A double-blind controlled trial of oligoantigenetic diet treatment. Lancet. 1983, 865-9

(8) Lockett DM, Campbell JF: The effects of aerobic exercise on migraine. Headache. 1992, 50-4

(9) Peikert A, Wilimzig C, Köhne-Volland R: Prophylaxis of migraine with oral magnesium: results from a prospective, multi-center, placebo-controlled and double-blind randomized study. Cephalalgia. 1996 Jun;16(4):257-63.

 

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