Sonne ja oder nein?

Der Sommer naht. Doch wie weit dürfen wir uns der Sonne eigentlich aussetzen? Ist sie nützlich, weil sie in unserer Haut das wertvolle Vitamin D bildet, welches uns im Winter fehlt? Der Mangel ist bekanntlich für den berühmten Winter-Blues mitverantwortlich– aber auch für Osteoporose, rheumatische Erkrankungen, Krebs und viele andere Gesundheitsstörungen. Oder ist die Sonne gefährlich, weil sie doch den bösen Hautkrebs verursacht?

Sonnenbank und Solarium

Wissenschaftlich unbestritten ist, dass die Benutzung der Sonnenbank das Risiko für ein Melanom (der Fachbegriff für gefürchteten „schwarze Hautkrebs“, von griech. μέλας = melas = schwarz) signifikant erhöht. Daran hat sich leider auch nichts geändert, seit neue Techniken verwendet werden, die angeblich schonender sind (1). Das ist auch der Grund dafür, warum Kinder und Jugendliche die Sonnenbank nicht mehr benutzen dürfen. Nur: Wenn die Sonnenbank krebserregend ist und Kinder und Jugendliche davor völlig zu Recht geschützt werden – warum schützen wir dann Erwachsene nicht auch davor?

Melanomrisiko und Einflussfaktoren

Unbestritten ist weiterhin, dass Sonnenbrände das Melanomrisiko massiv erhöhen. Viele oder schwere Sonnenbrände in der Jugend vervielfachen das Risiko, später einmal ein Melanom zu bekommen (2).

melanom und sonne

So kann ein Melanom aussehen.

Doch was ist mit der Sonnenexposition im Allgemeinen? Hier habe ich bei Pubmed, der weltweit größten medizinischen Datenbank nach eine Meta-Analyse (einer Zusammenfassung vieler gleichartiger Studien) gesucht. Ich war sehr erstaunt, dass die Ausbeute hier sehr gering war. Es gibt eine Meta-Analyse zum Gebrauch der Pille und Melanom, ja sogar zur Häufigkeit von Melanom in Abhängigkeit vom Alkoholkonsum. Zur Sonnenexposition habe ich jedoch nur eine einzige Meta-Analyse aus der wissenschaftlichen Steinzeit (1995) gefunden (3).

Alkohol

Dabei fand sich nach der Auswertung von 20 Studien ein deutlich erhöhtes Risiko bei intermittierender Sonnennutzung (also mal wenig, dann wieder viel Sonne). Danach haben Menschen, die sich solch intermittierend erhöhter Sonnenstrahlung aussetzen, ein um 57 % erhöhtes Risiko für Melanom. Beispiel: Sie kommen tagsüber kaum raus, fahren dann aber nach Mallorca auf den Teutonengrill und genießen dann „Sonne satt“. Das mag die daran nicht angepasste Haut wohl überhaupt nicht. Nebenbei: Alkohol erhöht das Risiko für Melanom massiv (4). Das Beste, was Sie also für einen bösartigen Hautkrebs tun können: Reichlich Sangria tanken und dann stundenlang am Strand schmoren (Caipirinha tut es natürlich auch).

Helle Typen

Das Risiko wird noch erhöht, wenn Sie rothaarig sind, helle Haut haben, blauäugig die Welt betrachten (das ist real und nicht im übertragenen Sinne gemeint), mit vielen Sommersprossen gesegnet und in der Familie Melanome bekannt sind. Oder umgekehrt: Wenn ein oder mehrere dieser Risikofaktoren bekannt sind, dann sollten Sie schon ein wenig vorsichtiger als andere sein, ohne jedoch in Panik zu verfallen (5).

Ständiger Sonneneinfluss

Chronische Sonnenexposition scheint jedoch sogar ein Schutzfaktor zu sein. Nach der Meta-Analyse hatten hier die Menschen ein um 27 % erniedrigtes Risiko. Beispiel: Wenn Sie regelmäßig im Freien joggen oder velofahren (für Nicht-Schweizer: Fahrradfahren) und ihre Haut sich mit steigender Sonnenexposition in Frühjahr und Sommer langsam an die zunehmende Strahlung anpasst, sinkt das Risiko für Melanom deutlich – einen Sonnenbrand sollten Sie natürlich trotzdem vermeiden.

sonnenschutz

Wie viel Sonne ist noch gut und wie viel Sonnenschutz muss sein?

Dass die von den Hautärzten und der Sonnencremeindustrie geschürte „Sonnenhysterie“ kritisch zu betrachten ist, hätten wir spätestens seit 1990 wissen müssen, als eine interessante Studie der U.S. Navy veröffentlicht wurde, die aber merkwürdigerweise keinen Eingang in die dermatologischen Leitlinien gefunden hat. Dabei hat man alle Melanomfälle eingeschlossen, die zwischen 1974 und 1984 in der Navy bei weißen Matrosen aufgetreten sind. Alle Matrosen wurden in drei Gruppen eingeteilt: Innendienst, Innen/Außendienst, Außendienst. Wenn es so einfach gewesen wäre, dass die Sonne der große Bösewicht ist, hätte die Melanomhäufigkeitsreihenfolge folgendermaßen lauten müssen:

Außendienst > Innen/Außendienst > Innendienst

Die tatsächliche Reihenfolge war aber:
Innendienst > Außendienst > Innen/Außendienst

Was folgern wir daraus? Zu viel Sonne ist nicht so gut. Gar keine Sonne ist aber noch schlechter. Am besten ist wohl die moderate Belastung. Eine weitere Erkenntnis aus der Studie sollte uns auch zu denken geben: Wo hat es die meisten Melanome gegeben? Wir würden doch erwarten, dass Gesicht und Arme, also die am meisten sonnenexponiertesten Hautregionen, das höchste Risiko aufweisen. Tatsächlich gab es die meisten Melanome aber am Rumpf, der üblicherweise bei den Matrosen bekleidet war (6).

Ein markantes Beispiel dafür, dass die Sonne wohl nicht der klare und alleinige Hauptverursacher von Melanomen sein kann, stellt eine Kasuistik dar, die mir ein befreundeter Gynäkologe berichtete: Er entdeckte ein Melanom bei einer seiner Patientinnen bei einer Routineinspektion intravaginal! Wie bitteschön soll die Sonne dort ein Melanom erzeugen?

Omega-3 bei Hautkrebs

Nebenbei: Ich kann es einfach nicht lassen, ich musste natürlich auch mal schauen, was Omega-3 bei Hautkrebs macht. In einer Meta-Analyse wurden Studien zu Omega-3-Zufuhr und Hautkrebs zusammengefasst. Es wurde kein Zusammenhang zwischen Omega-3 und Basalzellkarzinom gefunden. Beim Plattenepithelkarzinom führte hoher Omega-3-Konsum zu einem relativen Risiko von 0,86, also einer leichten Risikominderung um etwa 1/7. Beide Krebsarten sind die so genannten „weißen Hautkrebse“. Beim Melanom, dem gefährlichen „schwarzen Hautkrebs“ führte hoher Konsum hingegen zu einem Risiko von nur 0,52, also fast einer Halbierung des Risikos (7)!

Studie des Monats

Sonne und Melanomhäufigkeit sowie Gesamtsterblichkeit 

In einer großen schwedischen Studie wurden 29.518 Frauen (25-64 Jahre) mittels Fragebogen nach ihrer Sonnenexposition befragt. Innerhalb der nächsten 20 Jahre starben von diesen Frauen 2545. Dabei fand man heraus, dass die Gesamtsterblichkeit – also alle Todesursachen von Krebs über Herzinfarkt bis hin zu Verkehrsunfällen unter den „Sonnenvermeidern“ etwa doppelt so hoch lag oder umgekehrt: Das Risiko der „Sonnenanbeter“ an irgendeiner Todesursache in diesen 20 Jahren war nur etwa halb so hoch (exakt 53 %). Hauptsächlich gab es mit der Sonne weniger Krebs- und Herzinfarkttode.

sonnenbrand

Sonne ja, aber bitte ohne Sonnenbrand

Was war denn nun mit dem Melanomrisiko? Das Risiko der Sonnenexponierten war tatsächlich 50 % höher. Allerdings waren die Fallzahlen im Vergleich zur Gesamtgröße recht klein. Eine nahezu Halbierung der Todesfälle (bei 2545 insgesamt) steht eine Risikoerhöhung von 50 % Melanomen (bei 267 insgesamt) gegenüber. Da nehme ich das geringe absolute Risiko des Melanoms gegen den riesigen Nutzen bei allen Todesfällen gern in Kauf. Leider wurde nicht nach Sonnenbränden gefragt. Ich bin sicher, wenn man die noch hätte einrechnen können, dann hätten die Sonnenexponierten, die trotzdem Sonnenbrände vermieden haben, das geringste Risiko (aber das ist meine persönliche Spekulation). Und noch etwas Erstaunliches zeigte die Studie: Obwohl die Melanomrate bei den Sonnenanbetern höher war, lag die Melanomsterblichkeit niedriger (immerhin 20 % weniger). Die Sonnenanbeter erkranken also etwas mehr am Melanom, sterben dann aber kaum daran (möglicherweise liegt dies an der besseren Vitamin D-Versorgung). Wenn aber ein Sonnenvermeider ein Melanom bekommt, dann ist die Wahrscheinlichkeit, daran zu sterben, richtig hoch (8).

*aufgeschnappt und kommentiert – aufgeschnappt und kommentiert*

Hautärzte auf dem Gang nach Canossa!

Dr. med. Quintus Querulantius merkt hierzu an: Es ist schon erstaunlich. Da predigen Hautärzte seit Jahren – und ich höre und lese immer noch diese Empfehlungen – die Sonne zu meiden wie der Teufel das Weihwasser. Und nun stellt sich anhand großer und seriöser Studien heraus: Mit dieser Empfehlung sind Dermatologen vermutlich für den Tod von tausenden von Menschen verantwortlich! Einem geringen Nutzen bei der Vermeidung von Melanomen stehen jedoch mehr Melanomtode und vor allem viel mehr Tote an anderen Krankheitsursachen zu Buche.

Die Hautärzte müssten sich nun eigentlich in Sack und Asche hüllen, sich auf den Büßergang nach Canossa begeben und ihrem häretischen Irrglauben abschwören. Dergleichen habe ich bisher aber leider noch nicht aus entsprechenden Verlautbarungen vernommen.
Was scheint sich nach diesen Studien als vernünftig herauszukristallisieren:

  • Wie sagte schon unser medizinischer Ur-Vater Hippokrates? Wir sollten in allem „das rechte Maß“ halten. Also: – Meiden Sie nicht die Sonne und setzen Sie sich ihr auch nicht übermäßig aus.
  • Steigern Sie Ihre Sonnenexposition in Frühjahr und Sommer langsam, schrittweise und kontinuierlich. Das Schlimmste scheint zu sein: Mit vornehmer Blässe dann ganz viel Sonne suchen.
  • Schmieren Sie sich nicht eine halbe Stunde vor dem Sonnenbaden mit einer 50er-Sonnenschutzcreme ein – dann hat Ihre Haut nämlich keine Möglichkeit, sich an die Sonne anzupassen. Gönnen Sie der unbedeckten Haut ein paar Minuten Sonne – und greifen Sie erst dann zur Creme, wenn Sie länger zu bleiben beabsichtigen.
  • Wichtig ist: Riskieren Sie keinen Sonnenbrand! Jeder Jeck ist anders, pflegt der Kölner zu sagen. Achten Sie auf individuelle Empfindlichkeiten. Wenn Sie sehr sonnenempfindlich sind (z.B. rothaarig, blauäugig oder mit heller Haut), dann schonen Sie Ihre Haut eher oder greifen Sie etwas rascher zum Lichtschutz.
  • Wenn Sie die Sonne wirklich meiden müssen (z.B. wegen Sonnenallergie, Einnahme phototoxischer Medikamente oder weil Sie als „Schreibtischtäter“ einfach nicht rauskommen), dann lassen Sie Ihren Vitamin D-Spiegel messen und streben Sie einen Wert von 40-60 ng/l oder 100-150 nmol/l an.
  • Kaum jemand erreicht diesen Wert ohne Substitution. Sonnenmeider brauchen meistens mehrere Tausend Einheiten Vitamin D am Tag.
  • Und zu guter Letzt: Sprechen Sie reichlich fetten Fischen zu. Wenn Sie dies nicht können oder mögen, dann schützen Sie sich mit einem guten Fischölpräparat.

 

*aufgeschnappt und kommentiert – aufgeschnappt und kommentiert*

Literatur

  1. Colantonio S, Bracken MB, Beecker J: The association of indoor tanning and melanoma in adults: systematic review and meta-analysis. J Am Acad Dermatol. 2014 May;70(5):847-57.e1-18. doi: 10.1016/j.jaad.2013.11.050. Epub 2014 Mar 12.
  2. Olsen CM, Zens MS, Green AC, Stukel TA, Holman CD, Mack T, Elwood JM, Holly EA, Sacerdote C, Gallagher R, Swerdlow AJ, Armstrong BK, Rosso S, Kirkpatrick C, Zanetti R, Bishop JN, Bataille V, Chang YM, Mackie R, Østerlind A, Berwick M, Karagas MR, Whiteman DC: Biologic markers of sun exposure and melanoma risk in women: pooled case-control analysis. Int J Cancer. 2011 Aug 1;129(3):713-23. doi: 10.1002/ijc.25691. Epub 2010 Nov 16.
  3. Nelemans PJ, Rampen FH, Ruiter DJ, Verbeek AL: An addition to the controversy on sunlight exposure and melanoma risk: a meta-analytical approach. J Clin Epidemiol. 1995 Nov;48(11):1331-42.
  4. Darvin ME, Sterry W, Lademann J, Patzelt A: Alcohol consumption decreases the protection efficiency of the antioxidant network and increases the risk of sunburn in human skin. Skin Pharmacol Physiol. 2013;26(1):45-51. doi: 10.1159/000343908. Epub 2012 Nov 7.
  5. Gandini S, Sera F, Cattaruzza MS, Pasquini P, Zanetti R, Masini C, Boyle P, Melchi CF: Meta-analysis of risk factors for cutaneous melanoma: III. Family history, actinic damage and phenotypic factors. Eur J Cancer. 2005 Sep;41(14):2040-59.
  6. Garland FC, White MR, Garland CF, Shaw E, Gorham ED: Occupational sunlight exposure and melanoma in the U.S. Navy. Arch Environ Health. 1990 Sep-Oct;45(5):261-7.
  7. Noel SE, Stoneham AC, Olsen CM, Rhodes LE, Green AC: Consumption of omega-3 fatty acids and the risk of skin cancers: a systematic review and meta-analysis. Int J Cancer. 2014 Jul 1;135(1):149-56. doi: 10.1002/ijc.28630. Epub 2013 Dec 18.
  8. Lindqvist PG, Epstein E, Landin-Olsson M, Ingvar C, Nielsen K, Stenbeck M, Olsson H: Avoidance of sun exposure is a risk factor for all-cause mortality: results from the Melanoma in Southern Sweden cohort. J Intern Med. 2014 Jul;276(1):77-86. doi: 10.1111/joim.12251. Epub 2014 Apr 23.