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Um klar zu sehen, genügt oft ein Wechsel der Blickrichtung.
Antoine de Saint-Exupéry, franz. Schriftsteller und Pilot, 1900-1944
 

Wenn wir an ein Zitat von Antoine de Saint-Exupéry zum Thema „Sehen“ denken, dann fällt uns unweigerlich das wunderschöne Zitat aus seinem „kleinen Prinzen“ ein, dass man nur mit Herzen gut sehe. Ich habe aber bei dem heutigen „Augen-Thema“ bewusst auf das obige Zitat zurückgegriffen. Auch hier ist mit dem Sehen keinesfalls nur das sinnliche Sehen, sondern auch das Sehen in einem übergeordneten Sinne gemeint.

In der Medizin sehe ich, dass der Blickwinkel oft einseitig auf ein „Anti“ gerichtet ist. Wir haben Anti-Hypertonika, Anti-Depressiva, Anti-Dementiva usw. Auf die Wirksamkeit von Antidepressiva und Antidementiva bin ich schon in einigen Newslettern eingegangen. Wir reden in der Medizin viel zu wenig darüber, was wir für den Körper, für eine gesunde Regulation tun können. Ja, ich möchte es so ausdrücken, dass die Medizin auf diesem Auge nahezu völlig blind ist. Da kann man schlecht die Blickrichtung wechseln. Es geht fast ausschließlich darum, neue und noch teurere Medikamente und invasive Verfahren zu entwickeln.

Ich bin sogar soweit zu sagen, dass wir einen Systemwechsel in der Medizin brauchen. Es kann nicht angehen, dass Pharma-Firmen für neue Chemotherapien oder so genannte biologicals für Autoimmunkrankheiten nahezu jeden Preis verlangen und auch erhalten, was zu vier- bis fünfstelligen Therapiekosten pro Jahr führt, während praktisch alle Phytotherapeutika vor einigen Jahren aus der Kostenerstattung entfernt wurden – nicht etwa weil sie nicht wirken würden, sondern weil sie zu wenige Nebenwirkungen aufweisen, um unter die Rezeptpflicht zu fallen. Pervers! Und das hatte ausgerechnet eine grüne Gesundheitsministerin zu verantworten.

Vor einem Systemwechsel braucht es aber erst einmal einen Blickwechsel. Brauchen wir wirklich alle Wirbelsäulen- und Kniegelenkoperationen? Muss jeder Atemwegsinfekt mit Antibiotika behandelt werden? Muss jeder Cholesterinwert über 200 mg/dl mit einem Statin gesenkt werden? Muss jede Entzündung bei einer Autoimmunkrankheit mit einem Immunsuppressivum unterdrückt werden? Ist bei jedem Wehwehchen am Rücken gleich eine Computertomographie erforderlich?

Warum setzen sich Krankenkassen nicht einmal mit ganzheitlich orientierten Ärzten und Therapeuten zusammen und diskutieren, welche diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen wirklich sinnvoll sind? Damit könnte die Voraussetzung dafür geschaffen werden, eine ethisch vertretbare, nicht nur dem Gewinnstreben von Medizin-Konzernen, sondern der Gesundheit der Menschen verpflichtete Medizin zu schaffen.

AMD – eine häufige und schwere Augenerkrankung

Die altersbedingte Makuladegeneration (AMD) ist eine Erkrankung der Netzhaut des Auges. Sie führt zu einem Funktionsverlust des Auges und ist heute die häufigste Ursache für Blindheit. Es gibt nur wenige therapeutische Ansätze, die zudem aufwändig und teuer sind.

Etwa 2 Millionen Menschen sind allein in Deutschland von AMD betroffen. Rauchen, Bluthochdruck und ein erhöhter Homocysteinwert gelten als Risikofaktoren für die AMD. Eine besondere Bedeutung haben oxidative Belastungen. So konnte die AREDS-Studie nachweisen, dass die Gabe von Antioxidantien einen klaren Nutzen verspricht (Age-Related Eye Disease Study Research Group. A randomized, placebo-controlled, clinical trial of high-dose supplementation with vitamins C and E, beta carotene, and zinc for age-related macular degeneration and vision loss: AREDS report no. 8. Arch Ophthalmol. 2001;119(10):1417–1436).

Vor einigen Jahren fand die AREDS2-Studie heraus (Age-Related Eye Disease Study 2 Research Group. Lutein + zeaxanthin and omega-3 fatty acids for age-related macular degeneration: the Age-Related Eye Disease Study 2 (AREDS2) randomized clinical trial. JAMA 2013;309:2005–15), dass der Nutzen noch größer Wert wird, wenn man zusätzlich zu den Antioxidantien noch die beiden Carotinoide Lutein und Zeaxanthin hinzugibt.

Lutein – das gelbe Carotinoid

Carotinoide sind wichtige pflanzliche Antioxidantien. Da die Augen über die UV-Strahlung der Sonne oxidativen Belastungen ausgesetzt sind, muss die Netzhaut besonders geschützt werden. Die einzigen Carotinoide, die hier gefunden wurden, sind aber das Lutein und das Zeaxanthin. Lutein (von lat. luteus = gelb) kommt beispielsweise in Grünkohl, Spinat und Eidotter vor. Für Nahrungsergänzungen wird es aus den besonders luteinreichen Tagetes-Blüten gewonnen. Es ist neben Beta-Carotin (z.B. aus Karotten) und Lycopin (z.B. aus Tomaten) das wichtigste Carotinoid.

Zeaxanthin – der Farbstoff der Kanarienvögel

Zeaxanthin ist ein gelber Farbstoff aus Maiskörnern, Spinat, Eigelb und vielen Gemüsearten. Außerdem findet man Zeaxanthin in den gelben Federn von Kanarienvögeln. Während Lutein auch als Lebensmittelzusatzstoff zugelassen ist, findet Zeaxanthin als Futtermittelzusatzstoff Verwendung. Beide ergänzen sich in ihrer Schutzwirkung der Netzhaut. Der Nutzen beider Carotinoide in der Prävention bzw. in de Verbesserung der Progression bei AMD ist in der Augenheilkunde unbestritten.

Omega-3 als zusätzlicher Schutz

Es gibt mittlerweile eine ganze Reihe von epidemiologischen Studien, die weniger AMD bei guter Omega-3-Versorgung aufzeigen. In der wichtigen NAT2-Studie wurde der Effekt von Omega-3 auf die choroidale Gefäßneubildung an der Aderhaut bei AMD gemessen. Diese Gefäßneubildung ist ein typisches Krankheitszeichen bei der feuchten Form der AMD. Bei einer guten Omega-3-Versorgung konnte diese um 68 % reduziert werden. Die Patienten dieser Gruppe wiesen dabei einen Omega-3-Index von durchschnittlich 8,56 % auf. Der Omega-3-Index ist die Summe der Omega-3-Fettsäuren EPA/DHA im Vergleich zu allen Fettsäuren. Ein Index von über 8 % ist schon sehr gut und wird in der Regel nur bei Einnahme von mind. 2 g EPA/DHA erreicht. Dies entspricht 15 normalen Fischölkapseln, 4-7 großen Fischölkapseln oder 1 EL Fischöl oder 1 TL Algenöl. Manche Menschen (mit sehr geringer Fischzufuhr oder mit Übergewicht) benötigen mitunter auch 50-100 % mehr.

Achtung: Während bei vielen Krankheiten EPA wichtiger zu sein scheint als DHA (EPA wirkt besser bei entzündlichen Erkrankungen), gibt es Hinweise darauf, dass bei AMD das DHA möglicherweise wichtiger zu sein scheint. Die Hälfte der Fettsäuren in Nerven besteht aus DHA. EPA ist hingegen nur sehr gering vertreten. Die pflanzliche Omega-3-Fettsäure ist hier völlig nutzlos, da sie in den Nerven so gut wie gar nicht vorkommt und aus ALA auch keine DHA gebildet werden. Aus ALA kann EPA gebildet werden – wenn auch irrelevant wenig -, aber DHA überhaupt nicht, auch wenn dies immer wieder anders behauptet wird. Daher würde ich zur Vorbeugung oder Behandlung der AMD kein „normales“ Fischöl, sondern eher ein Dorschleberöl oder ein Algenöl nehmen. Die Standarddosis bei einem normalgewichtigen Menschen mit etwa 3-4x pro Woche Fleischkonsum und 1x Fischkonsum liegt bei 1 EL Dorschleber- oder 1 TL Algenöl. Optimal wäre es, wenn nach drei Monaten eine Fettsäureanalyse erfolgt und der Omega-3-Index bei über 8 % liegt. Bei geringerem Spiegel sollte die Dosis angehoben werden.

Mein Diagnostik- und Therapiekonzept bei AMD

Ich messe Homocystein im Blut und gebe bei erhöhten Werten B-Vitamine, um einen Spiegel von < 10 µmol/l anzustreben.

Ich messe die Fettsäuren (wichtig: nicht im Serum, wie das die meisten Labor leider tun, sondern in der viel aussagefähigeren Erythrozytenmembran) und gebe so viel Dorschleber- oder Algenöl, dass ein Omega-3-Index von 8-11 % erreicht wird.

Und ich gebe Lutein & Zeaxanthin, wofür es keiner Messung bedarf.

Präparatehinweise finden Sie am Ende des Newsletters.

Herzliche Grüße, gute Gesundheit und klaren Durchblick wünscht Ihnen

Dr. Volker Schmiedel

Mit herzlichen Grüßen,
Ihr Dr. Volker Schmiedel

Studie des Monats

Heute mal nicht die Studie des Monats, sondern zwei Studien des Monats.

Hier die 1. Studie, was können wir mit Omega-3 bei bereits bestehender Funktionseinschränkung des Sehens erreichen:

Georgiou T, Prokopiou E: The New Era of Omega-3 Fatty Acids Supplementation: Therapeutic Effects on Dry Age-Related Macular Degeneration. J Stem Cells. 2015;10(3):205-15.

In dieser Studie wurden 5 g EPA/DHA verwendet. Das ist schon eine sehr große Menge (entspricht 2 ½ EL Fischöl). Hierunter kam es zu einer Verbesserung des Visus von mehr als einer Linie im Sehtest innerhalb von 4,5 Monaten. Die größte Verbesserung von 15 Buchstaben im Sehtest erreichten die Patienten, die einen AA/EPA < 2 aufwiesen. Auch Patienten mit schwerer AMD konnten innerhalb von wenigen Monaten noch eine deutliche Verbesserung erzielen. Auch diese Studie belegt, dass in der Fettsäureanalyse optimale Werte erzielt werden müssen, um wirklich gute Effekte zu erzielen – dafür brauchen wir aber wirklich hohe Dosen.

Und hier die 2. Studie, ist Lucentis® besser als Avastin® bei AMD:

CATT Research Group; Daniel F Martin, Maureen G Maguire, Gui-shuang Ying, Juan E Grunwald, Stuart L Fine, Glenn J Jaffe: Ranibizumab and Bevacizumab for Neovascular Age-Related Macular Degeneration. N Engl J Med 2011 May 19;364(20):1897-908. doi: 10.1056/NEJMoa1102673. Epub 2011 Apr 28.

Das Präparat Lucentis® (Ranibizumac) der Firma Novartis ist für die Behandlung der AMD zugelassen. Es muss regelmäßig gespritzt werden, kostet etwa 1200 € im Monat und der Beipackzettel mit den Nebenwirkungen ist erschreckend lang. Seit mehr als 10 Jahren setzen Ärzte auch Avastin® (Bevacizumac) ein, welches nicht nur ähnlich klingt, sondern auch so wirkt, aber viel preiswerter ist. Die Studie hat nun diese beide Mittel miteinander verglichen. Lucentis® führte nach einem Jahr zu einer Verbesserung von 8,5 Buchstaben in der Sehleistung im Vergleich zu 8,0 Buchstaben unter Avastin®. Es bestand statistisch kein signifikanter Unterschied.

Schauen Sie sich bitte noch einmal die erste Studie an: Unter Omega-3 – jedenfalls wenn ein AA/EPA-Quotient von < 2 erreicht wird – kommt es sogar zu einer Verbesserung von 15 Buchstaben, und zwar nicht in einem Jahr, sondern bereits nach 4,5 Monaten. Die Studienpopulationen sind selbstverständlich nicht exakt miteinander vergleichbar, aber eine Vergleichsstudie zwischen Lucentis® und Omega-3 (allerdings mit hoher Dosierung bzw. mit optimalem Omega-3-Quotienten von unter 2,0 und/oder Omega-3-Index von > 8 % wäre wünschenswert) – ich befürchte aber, dass niemand eine solche Studie finanzieren wird.

Buchtipp des Monats:

Buch: Omega-3 Öl des Lebens

Aus gegebenem Anlass mal wieder ein wenig Werbung für mein eigenes Omega-3-Buch. Hier sind die Grundlagen des Omega-3-Fettsäure-Stoffwechsels, die Behandlungsindikationen und praktische Tipps zu Diagnostik und Therapie klar und verständlich aufgeführt.

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aufgeschnappt und kommentiert – aufgeschnappt und kommentiert

Lucentis® oder Avastin® – skandalöse Augenwischerei der Pharma-Industrie

Dr. med. Quintus Querulantius merkt hierzu an: Lucentis hat die Zulassung für AMD, jedenfalls eine bestimmte Form der AMD. Da die Therapie mit Lucentis® ziemlich teuer ist

(ca. 1200 Euro pro Monat), sind daraufhin eine Reihe von Ärzten auf das preiswerte Avastin® (nur ca. 50 Euro!) umgestiegen. Und Krankenkassen bezahlen dies sogar in vielen Fällen, obwohl sie das eigentlich gar nicht dürften. Das Problem ist, dass Avastin®, welches nur einen Bruchteil kostet, für die Behandlung bestimmter Krebsarten zugelassen ist, nicht aber für die AMD. Es handelt sich also um einen so genannten off label use. Ärzte dürften Avantis® bei AMD eigentlich gar nicht verschreiben und Kassen dürften es nicht erstatten. Nun könnte die Firma Roche ja ganz einfach die Zulassung von Avastin® für die AMD beantragen – und aufgrund der Studienlage würde das mit großer Sicherheit sogar positiv beschieden werden. Aber Roche weigert sich, die Zulassung zu beantragen, obwohl sie damit eine enorme Umsatzsteigerung erzielen könnte. Der Grund: Roche gehört zu etwa einem Drittel zu Novartis – und Novartis hat kein Interesse daran, die große Gewinnmarge von Lucentis® durch eine viel kleinere mit der Partnerfirma zu ersetzen.

Es wird derzeit diskutiert, ob man eine Pharma-Firma zu einer Zulassung eines Medikamentes zwingen kann, wenn es für eine Indikation wirksam ist und die Solidargemeinschaft damit massiv Kosten sparen könnte, auch wenn diese eine solche Zulassung aus purem Profitstreben nicht anstrebt. Diese Diskussion schwelt seit etwa 10 Jahren und die Politik war bisher nicht in der Lage, hier eine für die Bevölkerung positive Entscheidung herbeizuführen, was nicht wenige als einen Skandal ansehen (z.B. Süddeutsche Zeitung, https://www.sueddeutsche.de/wissen/ueberteuerte-medikamente-dreiste-augenwischerei-1.891438 und Schweizer Parlament, https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20173753).

Genau, diese profitorientierte Haltung der betroffenen Pharma-Firmen schürt die Ressentiments gegenüber den „bösen Pharma-Firmen“. Es macht viele Menschen traurig und wütend zugleich, dass der Profitgier einfach andere ethische Normen (z.B. bezahlbare Medikamente für alle Erkrankten, Solidarität mit der Gemeinschaft der Krankenversicherten und Krankenkassen) untergeordnet wird. Noch entsetzter bin ich allerdings, dass die Politik hier nicht klare Regelungen zugunsten der Solidargemeinschaft schaffe kann – oder will.
Herzliche Grüße,

Ihr Dr. med. Quintus Querulantius

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