Wie gut sind Diagnoseportale im Internet?

Haben Sie auch schon einmal „Dr. Google“ um Rat bei medizinischen Problemen gefragt? Doch wie zuverlässig sind die „elektronischen Ärzte“ bzw. Diagnoseportale eigentlich? Ich habe sie mal auf Herz und Nieren geprüft – natürlich nicht repräsentativ, sondern nur stichpunktartig. Unter den Stichworten „Symptomchecker“, „Diagnosefinder“ und „Krankheit finden nach Symptomen“ habe ich Adressen ausfindig gemacht, die aufgrund der Eingabe verschiedener Symptome eine Diagnose „ausspucken“. Ich habe also quasi die Symptomchecker gecheckt.

Diagnoseportale im Test

Als „Scheinpatient“ suchte ich also einige Internetseiten mit Diagnoseportalen auf. Die gute Nachricht: Bei typischen Herzinfarkt-Symptomen wie Brust- oder Herzschmerz kommt tatsächlich zuverlässig die Diagnose Herzinfarkt an erster Stelle. Ist der Herzinfarkt aber „stumm“, sondern äußert sich nur durch Atemnot, dann werden bei Netdoktor (https://www.netdoktor.de/symptom-checker/) zwar Symptome vieler Lungenkrankheiten abgefragt, aber keine weiteren Fragen gestellt, die doch zur Diagnose eines Herzinfarktes führen könnten (z.B. Schwächegefühl, Schwindel, Ohnmacht).

Vielmehr werden dann folgende Diagnosen angeboten:

– Lungenembolie
– Lungenentzündung
– Asthma
– Pneumothorax

Immerhin würde man mit Verdacht auf Lungenembolie auch eine Klinik aufsuchen, wo dann hoffentlich die richtige Diagnose gestellt wird. Ein stummer Herzinfarkt ist übrigens sehr häufig. Genaue Daten gibt es dazu leider nicht (viele sterben eben daran, ohne noch einen Arzt gesehen zu haben), aber Wissenschaftler gehen davon aus, dass mindestens jeder vierte Herzinfarkt ohne jegliche Schmerzen verläuft, bei Diabetikern wegen ihrer Nervenschädigung sind es sicher weit mehr – und gerade die sind besonders herzinfarktgefährdet. Der Netdoktor hört also nicht auf die Symptome eines „stummen Infarktes“ und führt daher nicht auf die richtige Fährte.

Gibt man bei einem anderen Diagnoseportal (http://www.krankheiten-portal.de/Symptomcheck/) typische Symptome wie Brustkorb- oder Herzschmerzen ein, kommt auch sofort der Hinweis auf einen möglichen Herzinfarkt. Gibt man jedoch Atemnot und Schweißausbrüche an (typisch für einen stummen Infarkt), so kommen folgende Verdachtsdiagnosen:

Ziemlich wahrscheinlich:

– AIDS
– Leukämie

Gut möglich:

– Schlafapnoe
– Parkinson
– Diphtherie
– Kinderlähmung
– Epilepsie
– Tuberkulose
– Asthma
– Bluthochdruck
– Bronchitis
– Kehlkopfkrebs
– Lungenentzündung
– Schilddrüsenkrebs

Alles Mögliche dabei, da kann sich jeder was aussuchen. Von AIDS bis Schilddrüsenkrebs wird an alle Kolibris gedacht, der gar nicht so seltene stumme Herzinfarkt wird aber noch nicht einmal in Erwägung gezogen.

Dass es auch anders geht, zeigt der Symptomchecker der berühmten Mayo-Clinic in den USA (https://www.mayoclinic.org/symptom-checker/). Keine Frage, dass der typische Herzinfarkt hier auch sofort erkannt wird. Gibt man aber nun Atemnot ein und bei der Abfrage weiterer angebotener Symptome noch Schwäche und Schwitzen – alles Symptome bei einem stummer Infarkt -, so kommt an erster Stelle der wahrscheinlichen Diagnosen der akute Herzanfall. Bingo! Nicht jeder ist aber vielleicht des Englischen mächtig und geht daher als erstes auf den Symptomchecker der Mayo-Clinic.

Chronische Pankreasinsuffizienz – eine häufige Verdauungsstörung

Wie ist es nun mit nicht so dramatischen, aber durchaus sehr lästigen chronischen Erkrankungen? Bei der chronischen Pankreasinsuffizienz schwächelt die Bauchspeicheldrüse und die Enzymproduktion versiegt langsam. Hier ist nicht die Insulinproduktion, sondern die Synthese der Verdauungsenzyme gemeint. Typische Symptome sind dann Blähungen als Kardinalsymptom, Völlegefühl, Bauchschmerzen, mitunter auch Durchfälle und langfristig kann sogar Gewichtsverlust auftreten. Die Beschwerden treten besonders nach üppigen und besonders fetten Mahlzeiten und relativ schnell nach der Nahrungsaufnahme auf. Hier wollte ich es den Suchmaschinen gar nicht schwermachen. Ich habe so typische Symptome wie möglich geschildert, wenn sie denn angeboten wurden. Der Netdoktor hat aber auch hier keinen Volltreffer gelandet und tippte auf:

– Malassimilationssyndrom
– Zöliakie
– Colitis ulcerosa

Das ist jetzt gar nicht mal so falsch. Schließlich ist die Pankreasinsuffizienz tatsächlich ein Malassimilationssyndrom – Nährstoffe wie Fette werden also nicht mehr gut aufgenommen -, aber ein wenig genauer hätten wir es ja schon gerne gehabt. Schließlich führen auch die weiteren angegebenen Krankheiten Zöliakie und Colitis ulcerosa zu einer Malassimilation.

Bei Krankheiten-portal.de (http://Krankheiten-portal.de) hat man wie beim stummen Infarkt den Eindruck, es wird nahezu willkürlich in die Lostrommel der gesamten medizinischen Literatur gegriffen. Wenn ich nur viele Lose ziehe, wird schon eines gewinnen:

– Darmkrebs
– Magenschleimhautentzündung
– Masern
– Herzinfarkt
– Nierensteine
– Nierenkrebs
– Magengeschwür
– Leistenbruch
– Diabetes mellitus
– Gallensteine
– Blinddarmentzündung
– Chronisches Erschöpfungssyndrom
– Blasenentzündung
– Bandwurmbefall
– Gebärmutterhalskrebs
– Typhus
– Hodentorsion

Na, da ist doch wieder für jeden was dabei. Wenn es nicht so traurig wäre, könnte man darüber lachen. Ich gebe typische Symptome einer Pankreasinsuffizienz an und mir werden völlig abwegige Diagnosen wie Masern, Hodentorsion und chronisches Erschöpfungssyndrom angeboten. Da kann man nur fragen: Was haben die Programmierer der entsprechenden Algorithmen eigentlich geschluckt, um auf sowas zu kommen? Und der Abschuss: Hier wird endlich mal der Herzinfarkt genannt, den ich bei den Symptomen des stummen Infarktes so gerne gehabt hätte. Nur die tatsächliche Ursache der Beschwerden, die chronische Pankreasinsuffizienz, wird nicht angegeben, ja, noch nicht einmal Malassimilation, die eben auch solche Symptome verursacht, wird erwähnt. Der Netdoktor war hier nicht gut, Krankheiten-portal.de hat aber völlig in genau das gegriffen, was bei einer Pankreasinsuffizienz vermehrt in der Schüssel landet.

Gehen wir wieder mal über den großen Teich und befragen die Mayo-Clinic. Hier erscheinen dann folgende Verdachtsdiagnosen:

– Gastritis
– Zöliakie
– Reizdarm
– Morbus Crohn
– Pankreatitis
– Blinddarmentzündung
– Dickdarmkrebs
– Lebensmittelvergiftung
– Gallensteine
– Darmverschluss
– Laktoseintoleranz
– Magengeschwür
– Colitis ulcerosa
– Gallenblasenentzündung
– Divertikulitis
– Magendarmgrippe
– Gürtelrose

Auch hier werden sehr viele Lösungen angeboten. OK – wie die Mayo-Clinic bei der Angabe von Verdauungsbeschwerden auf die Gürtelrose kommt, weiß ich auch nicht. Alle anderen Diagnosen haben aber mit den angegebenen Verdauungsbeschwerden zu tun und sind differentialdiagnostisch durchaus in Erwägung zu ziehen. Und immerhin steht an fünfter Stelle die Pankreatitis, die schon recht nahe dran ist. Es ist zwar nicht die Pankreasinsuffizienz genannt worden, aber eine chronische Pankreatitis kann tatsächlich zu einer solchen führen.

Fazit:

Medizinische Symptomchecker sind nicht schlecht, wenn Sie bei akuten Krankheiten typische Lehrbuchsymptome aufweisen. Sie sollten sich also anstrengen, möglichst typische Symptome für Ihre Krankheiten zu entwickeln. Die ärztliche Erfahrung zeigt allerdings, dass das gar nicht so häufig ist, wie man sich dies wünscht. Und dann versagen die Computeralgorithmen leider kläglich. Da ist der erfahrene Arzt mit seiner Intuition einfach besser aufgestellt. Und wenn er nicht weiterweiß, hat er immerhin noch Labor und Apparate, die ihm weiterhelfen, wenn er denn die richtigen Fragen stellt.

Die chronische Pankreasinsuffizienz ist eine nicht seltene Erkrankung mit recht typischen Symptomen. Diese treten zwar bei Gallenschwäche, Nahrungsmittelallergien und -intoleranzen ganz ähnlich auf, in die differentialdiagnostischen Erwägungen sollte aber auch ein Computerprogramm diese Krankheit mit aufnehmen. Bei dieser Störung war die Mayo-Clinic nahe dran, der Netdoktor lag weiter daneben und das Krankheiten-portal.de hat hier schlichtweg versagt. Als zusätzliche Informationsquelle sollte das Internet bei medizinischen Problemen durchaus zu Rate gezogen werden. Die Seiten, die dabei die wichtigsten Krankheitssymptome, Ursachen, Folgen und Therapien verschiedener Erkrankungen darstellen, sind in der Regel informativ, verständlich und fachlich korrekt. Bei den Diagnoseportalen ist aber allergrößte Skepsis angezeigt. Vielleicht werden diese einmal besser, wenn mit Methoden der künstlichen Intelligenz selbstlernende Programme ähnlich wie ein Arzt immer größere Erfahrung sammeln, derzeit sind die eingegebenen Algorithmen aber fragwürdig bis irreführend. Im Zweifel würde ich dann einen echten Arzt immer noch dem Dr. Google vorziehen – und das sage ich jetzt nicht nur einfach so zur Ehrenrettung meines eigenen Berufsstandes, sondern weil die Ergebnisse der Diagnoseportale doch ziemlich enttäuschten.

Bewertung nach Schulnoten:

 

 

Studie des Monats

Vitamin D schützt vor Infekten

Der Winter naht und damit auch die Infekte. Warum sind wir denn gerade im Winter so häufig krank. Viren vermehren sich nur in ihrem Wirt. Ihnen ist es egal, ob es draußen schneit oder die Sonne scheint. Hat es vielleicht mit der Abwehr des Wirtes (das sind dann wir) zu tun? Und was ist im Winter anders als im Sommer? Ganz einfach, im Winter haben wir niedrigere Vitamin D-Spiegel. Dann müsste ja eigentlich die Einnahme von Vitamin D vor Infekten schützen. Genau das überprüfte eine Meta-Analyse zu Vitamin D-Gaben, die ihm renommierten British Medical Journal erschien (1). Unter einer Vitamin D-Einnahme, war das Risiko für Infekte der oberen Atemwege auf 0,88 reduziert, d.h. es gab immerhin 12 % weniger Infekte. In einer Subgruppeanalyse stellte sich heraus, dass nur in den Studien ein positiver Effekt registriert werden konnte, in denen Vitamin D täglich gegeben wurde (0,81, also fast 20 % weniger Infekte), während in den Studien mit wöchentlicher Gabe praktisch kein Effekt erzielt werden konnte (relatives Risiko mit 0,97 praktisch unverändert), obwohl die Gesamtdosen und die Serumspiegel vergleichbar waren. Diejenigen, die schlechte Vitamin D-Spiegel zu Beginn aufwiesen, profitierten am meisten (0,58, das Risiko für einen Infekt war also nahezu halbiert). Wir folgern daraus: – Vitamin D schützt im Winter vor Infekten. – Die Einnahme muss aber täglich und darf nicht wöchentlich erfolgen. – Je niedriger der Vitamin D-Spiegel ist, umso größer ist der Nutzen. – Optimal (das geht allerdings nicht aus der Meta-Analyse hervor, sondern entspringt meiner persönlichen klinischen Erfahrung) ist eine kontrollierte Anhebung des Spiegels auf 100-150 nmol/l. – Dafür werden meist 2000-8000 IE pro Tag benötigt. Herzliche Grüße und einen infektfreien Winter wünscht Ihnen, Dr. Volker Schmiedel, M.A.

aufgeschnappt und kommentiert – aufgeschnappt und kommentiert

Brauchen wir bald keine Ärzte mehr?

Dr. med. Quintus Querulantius meint dazu: Laut der obigen nicht repräsentativen Stichprobe müssen sich Ärzte noch keine Sorgen machen, dass sie bald überflüssig werden. Aber keine Sorge, wir können davon ausgehen, dass bereits jetzt Informatiker zusammen mit Medizinern an intelligenten Diagnosesystemen tüfteln. Und diese werden immer besser werden. Sie werden den Arzt darin unterstützen, Wahrscheinlichkeiten für das Vorliegen bestimmter Krankheiten je nach vorhandenen Symptomen, Laborwerten und Untersuchungsbefunden anzugeben, auch an seltene Diagnosen zu denken und Vorschläge für die weitere Diagnostik und Therapie unterbreiten. Dem Arzt obliegt es aber immer noch, dem Patienten die Befunde und Diagnosen mitzuteilen und gemeinsam mit dem Patienten ein Therapiekonzept auszuarbeiten. Beim harten Faktenwissen wird eine smarte Diagnosetechnik dem Arzt bald überlegen sein. Bei den so genannten soft skills werden die Computer dem Menschen aber wohl noch nicht so bald den Rang ablaufen. Zur ärztlichen Tätigkeit gehört nicht nur die bloße Vermittlung von Daten, sondern mindestens genauso wichtig ist es, diese in einer Sprache zu vermitteln, die dem Verständnis des Patienten auch angemessen ist. Der Arzt sollte auch auf Bedürfnisse, Ängste und Hoffnungen eingehen können – und besonders letztere zu wecken und Selbstheilungskräfte zu stärken. Das Medizinstudium und die nach-universitäre Fort- und Weiterbildung sollte also nicht nur medizinisches Fachwiesen vermitteln, sondern mehr und mehr Themen wie Empathie und Kommunikation aufgreifen. Wenn ich mir die Äußerungen meiner Patienten anhöre, liegt aber gerade hier noch viel im Argen. Aber genau hier werden für den medizinischen Beruf (und hoffentlich auch für eine bessere Arzt-Patienten-Beziehung) Chancen liegen. Ihr Dr. med. Quintus Querulantius

aufgeschnappt und kommentiert – aufgeschnappt und kommentiert

Literaturliste – für alle, die wissenschaftlich tiefer bohren und die wissenschaftlichen Quellen erkunden möchten, unter http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed können Sie die Abstracts (in Englisch) nachlesen und manchmal auch Links zu den Originalarbeiten finden:Martineau AR et al.:

  1. Vitamin D supplementation to prevent acute respiratory tract infections: systematic review and meta-analysis of individual participant data. BMJ 2017; 356 doi: https://doi.org/10.1136/bmj.i6583 (Published 15 February 2017)