In meinem Artikel „Vitamin K2: Hype oder Wundermittel?“, der im September 2018 im Naturarzt erschienen ist, untersuche ich die aktuelle Faktenlage und räume mit Übertreibungen und Unwahrheiten auf rund um das Thema zur „richtige“ Einnahme
von Vitamin D.

Vitamin K2: Hype oder Wundermittel?

Vitamin K2 wird immer dann zum Thema, wenn es um die „richtige“ Einnahme von Vitamin D geht: Wirkt hoch dosiertes Vitamin D nur, wenn man gleichzeitig auch Vitamin K2 ergänzt? Verursachen hohe Dosen von Vitamin D Arteriosklerose, wenn kein K2 dazu gegeben wird? Der langjährige Naturarzt-Autor Dr. med. Volker Schmiedel untersucht die aktuelle Faktenlage und räumt mit Übertreibungen und Unwahrheiten auf.

Bereits im 16. Jahrhundert verzehrten japanische Samurai-Krieger das fermentierte Soja-Produkt Natto und führten sich auf diese Weise viel Vitamin K2 zu. 1943 wurde der Nobelpreis für Medizin für die Entdeckung der Vitamin-K-Familie (es gibt mehrere K-Vitamine) verliehen. Um das Jahr 2000 herum erschienen die ersten Studien, die einen Nutzen von Vitamin K2 für die Knochengesundheit sowie für die Verbesserung bestimmter Biomarker belegten.

Vitamin K gehört neben den Vitaminen A, D und E zu den fettlöslichen Vertretern. Bei Fettverdauungsstörungen, die recht häufig bei Patienten mit Verdauungsproblemen auftreten, ist die Aufnahme dieser lebensnotwendigen Nährstoffe gestört. Für
Pflanzen ist Vitamin K1 bei der Photosynthese unverzichtbar. Der Mensch benötigt es für die Synthese verschiedener Gerinnungsfaktoren. Ohne Vitamin K 1 würden wir verbluten. Das K im Namen leitet sich von Koagulation (Gerinnung) ab.

Eine Therapie mit Nährstoffen wird in der konventionellen Medizin ja immer noch sehr kritisch gesehen. Die Verabreichung von Vitamin K 1 aber hat sich längst in der Schulmedizin durchgesetzt: Jedes Neugeborene erhält in Deutschland und der Schweiz einige Milligramm Vitamin K1 zur Vermeidung von Hirnblutungen!

Achtung: Patienten, die unter Gerinnungshemmern wie Marcumar oder Warfarin stehen, sollten ohne Rücksprache mit ihrem Arzt und engmaschiger Kontrolle des Quickwertes kein Vitamin K einnehmen, da K1 (und stärker noch K2) die Wirkung dieser Mittel teilweise oder ganz aufheben!

Vitamin K1 kommt in allen grünen Pflanzen vor – besonders in Spinat, Brokkoli und grünem Salat. K2 ist in großer Menge in dem bereits erwähnten Natto enthalten, mäßig in Käse und Butter und noch geringer in Fleisch, Fisch und Milch. Unser Körper kann aus Vitamin K1 in begrenztem Umfang K2 bilden. Wie hoch dieser Anteil ist, wurde noch nicht erforscht. Auch unsere Darmbakterien können Vitamin K erzeugen. Welche davon wie viel bilden, und wie viel davon letztendlich auch resorbiert werden kann, ist ebenso wenig bekannt.

Vitamin K für den Knochen: Kleine Mengen reichen aus

Wenn wir an den Beitrag von Vitaminen zur Knochengesundheit denken, dann kommen wir rasch auf Vitamin D. Die Vitamine der K-Familie spielen aber auch eine wichtige Rolle: Vitamin K führt das Osteocalcin in eine Form über, in der dieses den Knochen mineralisiert. Darüber hinaus hemmt es auch die Osteoklasten, also solche Knochenzellen, die den Knochen abbauen. Nun sind das alles physiologische Wirkungen, die dazu führen müssten, den Knochen fester werden zu lassen und Knochenbrüche zu vermeiden. Lässt sich dies aber auch in der Realität nachweisen?

Schon vor knapp 20 Jahren zeigte eine Studie an über 70.000 Frauen diesen Zusammenhang. Je weniger Vitamin K im Blut vorhanden war, desto niedriger war die Knochendichte und desto höher das Risiko für Hüftfrakturen (Fraktur = Knochenbruch). Bei den 20 % der Frauen mit dem niedrigsten Vitamin-K-Spiegel lag das Bruchrisiko um über 40 % höher. Frauen, die täglich ein oder mehrere Portionen Salat verzehrten, wiesen ein etwa halb so hohes Risiko für eine Fraktur auf wie diejenigen, die nur einmal in der Woche Salat aßen. Zwischen denen, die eine oder mehrere Portionen Salat täglich knabberten, gab es allerdings keine Unterschiede mehr. Für den Knochenschutz reichen also geringe Dosen aus – mehr hilft dann auch nicht mehr. In dieser Studie wurde aber nicht zwischen K1 und K2 differenziert.

In einer Meta-Analyse mit 19 Studien konnte gezeigt werden, dass an Osteoporose leidende Frauen, die mit Vitamin K2 behandelt wurden, nach den Wechseljahren eine höhere Knochendichte aufwiesen als diejenigen, die kein Vitamin K2 erhielten. In einer Meta-Analyse mit sieben Studien an ebensolchen Frauen fand sich eine Halbierung des Frakturrisikos. Ob eine vorsorgliche Gabe von Vitamin K2 bei Frauen ohne Osteoporose vor Brüchen schützt, bleibt allerdings noch offen.

In einer intelligent angelegten Studie erhielten nach den Wechseljahren an Osteoporose leidende Frauen entweder Kalzium, Vitamin D, Vitamin K2 oder die Vitamine D und K2 zusammen. In der Kalziumgruppe nahm die Knochendichte ab (Kalzium allein bringt also gar nichts!), in allen anderen Gruppen nahm die Knochendichte hingegen zu. In der Gruppe mit Vitaminen D und K2 nahm sie aber noch einmal stärker zu als in den Gruppen mit Vitamin D oder K2 allein.

Beim Knochen beobachten wir also synergistische (Synergie = Zusammenwirken) Effekte von Vitamin D und K2. Hieraus leitet sich dann vermutlich auch die Behauptung ab, Vitamin D würde ohne K2 nicht wirken. Dies ist aber ein Fehlschluss: Aus einer vorhandenen Wirkungsverstärkung zweier Partner können wir keinesfalls schließen, dass ein Partner bei der Abwesenheit des anderen gar nicht mehr wirkt.

Hohe Vitamin-D-Dosen

Zum Thema hoher Vitamin-D-Dosen ohne Ergänzung von Vitamin K möchte ich noch folgende Erfahrungen ergänzen:

Es gibt inzwischen ein Konzept zur Behandlung von Autoimmunkrankheiten, welches sich sehr hoher Vitamin-DDosen bedient („Coimbra-Protokoll“). Dieses ist in vielen Fällen sehr erfolgreich, besonders bei Multipler Sklerose (MS). Es werden dabei noch andere Nährstoffe zur Unterstützung gegeben, nicht aber Vitamin K2, obwohl dort mit wirklich exzessiv hohen Vitamin-D-Dosierungen gearbeitet wird.

Vitamin D bis zu 4000 IE täglich ist beim Erwachsenen auch ohne Messung sicher. Bis 10.000 IE ist es vermutlich auch gefahrlos, es sollten dann aber unbedingt Spiegelbestimmungen erfolgen. Höhere Dosen dürfen auf gar keinen Fall eigenmächtig und ohne Kontrolle durch einen Arzt, der sich mit Vitamin D wirklich gut auskennt, eingenommen werden! Nebenwirkungen wie Arteriosklerose oder Nierenschäden können bei sehr hohen Dosierungen nämlich schon vorkommen. Wenn solche dann einmal eingetreten sind, werden sie breit publiziert und es wird undifferenziert vor Vitamin D gewarnt, ohne zu erwähnen, dass nicht das Vitamin D, sondern eine unkontrollierte und unsinnige Vitamin-D-Einnahme dafür verantwortlich war.

Arteriosklerose: Brauchen wir Vitamin K zur Vorbeugung?

Schützt Vitamin K auch die Gefäße? Leider ist hier die Datenlage nicht so sicher, wie die Vitamin-K2-Verfechter meinen. Immerhin gibt es eine Studie, in der man postmenopausalen (= nach den Wechseljahren) Frauen Vitamin K2 gegeben hat. Das Resultat: Bei den Frauen, die zu Beginn der Studie eine hohe Steifigkeit der Gefäße aufwiesen, verringerte sich diese deutlich. Die Gefäßsteifigkeit ist ein sogenannter Surrogatparameter, eine Ersatzgröße. Das bedeutet, dass ein für eine Krankheit typischer Faktor (in diesem Fall Gefäßsteifigkeit) gemessen wird. Wird dieser Faktor günstig beeinflusst, muss es aber dennoch nicht so sein, dass auch die Zahl der Krankheitsfälle (in unserem Fall HerzKreislauf-Erkrankungen) abnimmt. Besser wäre es also, in der Untersuchung auch zu überprüfen, ob die Zahl der Erkrankungen beeinflusst wird.

Ein Beispiel: Vor einigen Jahrzehnten erhielten Patienten mit Osteoporose das Spurenelement Fluor. Die Knochendichte nahm unter Fluor massiv zu. Die Knochenbrüche wurden aber nicht weniger, sondern blieben gleich oder stiegen sogar an. Fluor macht den Knochen nicht nur fest, sondern auch spröde. Für die heute auf dem Markt befindlichen Osteoporosemedikamente konnte nachgewiesen werden, dass sie nicht nur die Knochendichte erhöhen, sondern auch die Frakturrate senken. Dass sie aber aufgrund anderer Nebenwirkungen durchaus problematisch sind, steht wiederum auf einem anderen Blatt.

Im Zusammenhang mit dem Schutz vor Arteriosklerose durch Vitamin K2 wird immer wieder die Rotterdam-Studie bemüht. Daher soll diese Untersuchung etwas ausführlicher dargestellt werden. Man erhob die Ernährungsdaten von knapp 5.000 Holländern, die noch keinen Herzinfarkt erlitten hatten. Aus diesen Daten wurde dann die Zufuhr an Vitamin K1 und K2 berechnet. Nach sieben Jahren hatten die Holländer mit einer ernährungsbedingt guten Vitamin-K2-Zufuhr weniger schwere Verkalkungen der Aorta (Hauptschlagader). Das Drittel mit der mittleren Vitamin-K2-Zufuhr wies um 29 % weniger schwere Verkalkungen auf, das Drittel mit der höchsten Zufuhr sogar um 52 % weniger als das Drittel mit der schlechtesten Versorgung. Die Sterblichkeit an koronarer Herzerkrankung reduzierte sich bei mit Vitamin K2 mittelgut versorgten Menschen um 27 %, die gut mit Vitamin K2 ausgestatteter Menschen sogar um 57 %. (Diese Effekte wurden nur für Vitamin K2, nicht hingegen für Vitamin K1 beobachtet.) Dies sind zweifellos interessante Hinweise auf einen möglichen Nutzen von Vitamin K2 bei der Vorbeugung von Arteriosklerose.

Kritisch angemerkt werden muss allerdings, dass vom Vitamin-K2-Gehalt aus den Ernährungsdaten auf die Vitamin-K2Zufuhr und den Vitamin-K2-Spiegel im Blut geschlossen wurde, und diese dann mit den Verkalkungen bzw. Todesfällen in eine statistische Beziehung gebracht wurden. Das ist noch kein Beweis für einen Nutzen! Ein solcher könnte erbracht werden, wenn man eine große Gruppe von Probanden zufallsmäßig in zwei Gruppen aufteilt: Eine erhält ein Vitamin-K2-Präparat, die andere ein Placebo. Findet man dann nach einigen Jahren deutliche Vorteile in der K2-Gruppe, so darf eine Vitamin-K2-Therapie bei Arteriosklerose als evidenzbasiert (beweisgestützt) gelten.

Solche Studien sind durchaus machbar. So konnte vor einigen Jahren für die Gabe von Selen/Q10 bei älteren Menschen eine Halbierung der Todesfälle für den beobachteten Zeitraum von 4,5 Jahren bewiesen werden. Es bleibt also festzuhalten: Für Vitamin K2 existiert bis heute kein einziger Beweis, dass eine zusätzliche Zufuhr als Nahrungsergänzung (die Rotterdam-Studie war eine Ernährungsstudie!) Gefäßkrankheiten in Auftreten und Schwere beeinflusst!

K2: individuelle Therapie durch ucMGP-Messung

Aufgrund der Datenlage sehe ich den Nutzen von Vitamin K2 zur Erhöhung der Knochendichte und der Vermeidung von Frakturen bei Osteoporose als eindeutig belegt an. Ich messe daher bei Osteoporosepatienten nicht nur den Vitamin-DSpiegel sondern auch ucMGP (uncarboxyliertes Matrixglykoprotein) als indirekten Marker für Vitamin K 2 . Ist dieses erhöht, so besteht ein Vitamin-K2-Mangel, und der Patient profitiert mit großer Wahrscheinlichkeit von einer Einnahme. Nach meiner Erfahrung hat etwa jeder dritte Osteoporosepatient einen Vitamin-K2-Mangel und gewinnt daher durch eine entsprechende Nahrungsergänzung.

Wer bei Osteoporose das Vitamin ohne Messung und ohne den Beweis eines Mangels einnimmt, macht damit nichts falsch – außer, dass er eventuell unnötig Geld ausgibt. Die Kosten für eine Messung von ucMGP als Marker eines Vitamin-K2Mangels in Höhe von 37,60 € haben sich rasch amortisiert, wenn man damit eine unnötige Einnahme vermeiden kann. Nach drei Monaten messe ich das ucMGP erneut und sehe dann meist Werte im normalen Bereich. Ansonsten wird die Dosis angepasst. Dies stellt meines Erachtens eine subtile und individuell optimierte Vitamin-K2-Therapie dar. Gute Präparate sind in Deutschland Vitamin K2 Hevert Kps. (100 µg) und K2-Köhler Kps. (200 µg) sowie in der Schweiz Burgerstein K2 Kps. (180 µg). Übliche Dosierungen liegen bei 100 – 200 µ K2 täglich.

Bei der Arteriosklerose hat mich persönlich die Datenlage noch nicht überzeugt, um allen von Arteriosklerose betroffenen oder gefährdeten Patienten Vitamin K2 zu geben oder auch nur die Messung zu veranlassen. Aufgrund der geschilderten Fakten mag jeder selbst entscheiden, ob er vielleicht von Vitamin K2 profitieren könnte.

Fakten oder fake: Was ist nun bewiesen?

Die Beweise für eine Schutzwirkung von Vitamin K2 für den Knochen (auf jeden Fall dann, wenn ein Mangel nachgewiesen wurde) liegen auf dem Tisch. Hinweise für einen potenziellen Nutzen bei Arteriosklerose gibt es auch. Das sind die Fakten. Ich habe oben die synergistischen Effekte von Vitamin D und K2 für die Knochengesundheit erwähnt. Beide sind hier Partner, die sich gegenseitig unterstützen. Dies könnte bei der Arteriosklerose auch der Fall sein, bleibt aber noch spekulativ, bis uns entsprechende Beweise vorliegen.

Mit den gebetsmühlenartig wiederholten Behauptungen einiger Vitamin-K2Verfechter, Vitamin D würde ohne K2 gar nicht wirken oder hohe Dosen ohne Vitamin K2 gar schädlich sein, begeben wir uns auf ganz dünnes Eis. Wir befinden uns mit diesen Behauptungen nicht mehr im Reich der Spekulation, sondern im Land der Märchen! Ich habe wirklich die gesamte Literatur nach entsprechenden Hinweisen durchforstet sowie einige „Vitamin-D-Päpste“ dazu befragt. Sie antworteten mir, dass es nicht den Hauch eines Beweises für diese aus den Fingern gesogenen Behauptungen gebe. Sie sind absoluter „fake“, und ich ärgere mich, dass viel Zeit, in der ich meinen Patienten eigentlich wichtigere Dinge erklären müsste, für die Widerlegung dieses Blödsinns verschwendet wird. Alle, die mich jetzt der Gegnerschaft zu Vitamin K2 bezichtigen, mögen mir doch bitte endlich einmal Beweise vorlegen. Es gibt sie (noch) nicht. Vielleicht werde ich in zehn Jahren auch allen Arteriosklerosepatienten Vitamin K2 empfehlen, aber im Moment haben mich Vitamin D, Omega-3 sowie B-Vitamine (wenn das Homocystein erhöht ist) mehr überzeugt. 

Daher lautet mein Fazit: Vitamin K2 ist ein interessanter Nährstoff, der einen sicheren Nutzen für den Knochen und vielleicht auch eine positive Wirkung bei Arteriosklerose aufweist. Die Behauptungen, Vitamin D ohne K2 nütze nichts und hohe Dosen Vitamin D ohne K2 schadeten sogar, entbehren jedoch jeder Grundlage. Von Vitamin K2 werden wir zukünftig vielleicht noch einiges Neue erfahren. Bleiben Sie also neugierig, aber seien Sie auch kritisch. Wählen Sie einen gesunden Mittelweg zwischen Zweifel und Glauben!

Quelle: Zeitschrift Naturarzt, September 2018