In meinem Artikel „Beeinflussung der Sterblichkeit bei älteren Menschen durch Selen und Q10“, der 2019 in der Zeitschrift Erfahrungsheilkunde des Haug Verlages erschienen ist, geht es um die Wirkungsweise von Q10 und Selen auf die Lebenserwartung von älteren Menschen.

Zusammenfassung

Die orthomolekulare Medizin wird von der konventionellen Medizin immer noch belächelt, teilweise sogar als unwirksam oder schädlich bekämpft. Besonders das Fehlen von überzeugenden Studien wird kritisiert. Vor einigen Jahren wurden aber die Ergebnisse einer randomisierten, doppelblinden Interventionsstudie publiziert, die eine Halbierung der Sterblichkeit in der Verumgruppe aufzeigte. Wegen der großen Bedeutung für die orthomolekulare Medizin im Allgemeinen und die Lebenserwartung und die Lebensqualität bei älteren Menschen im Besonderen sollen die Ergebnisse dieser Studie hier im Einzelnen vorgestellt werden.

Welche Bedeutung haben Selen und Q10 bei älteren Menschen?

688 ältere Schweden wurden in einer epidemiologischen Studie 6,8 Jahre beobachtet. Der durchschnittliche Selenspiegel lag nur bei 67,1 μg/l, was relativ niedrig ist. Nach Adjustierung für Geschlecht, Rauchen, KHK, Diabetes, COPD und eingeschränkter Herzfunktion hatte das Quartil mit dem niedrigsten Selenspiegel ein um 43 % erhöhtes Risiko für die Gesamt- und ein um 56 % erhöhtes Risiko für die kardiovaskuläre Mortalität. Dies ist ein Indiz für die mögliche protektive Wirkung von Selen bei kardiovaskulären Krankheiten [8]. Q10 ist essenziell für die mitochondriale Energieproduktion und wirkt antioxidativ. Niedrige Q10-Spiegel waren in Studien positiv korreliert zur Schwere der Herzinsuffizienz. 420 Patienten mit mäßiger bis schwerer Herzinsuffizienz erhielten 2 Jahre lang in einer internationalen Multicenterstudie prospektiv 300 mg Q10 oder Placebo zusätzlich zur kardiologischen Standardtherapie. In der Q10-Gruppe gab es nach 2 Jahren 15 % kardiovaskuläre Ereignisse gegenüber 26 % in der Placebogruppe (p = 0,003). Im Einzelnen waren dies Herzsterblichkeit (9 vs. 16 %, p = 0,026), Gesamtsterblichkeit (10 % vs. 18 %, p = 0,018) und Hospitalaufenthalte wegen Herzinsuffizienz (p = 0,033). Die Autoren sehen die Therapie von Q10 bei Herzinsuffizienz als sicher an. Symptome und kardiovaskuläre Ereignisse können signifikant vermindert werden [12].

Intervention mit einer Kombination aus Selen und Q10

Es ist bekannt, dass Selen und Q10 essenziell für die Zellen sind. Studien wie die oben aufgeführten epidemiologischen und interventionellen Studien haben Hinweise auf protektive Effekte gezeigt. Zudem zeigte sich, dass die Zelle Selen benötigt, um Q10 zu aktivieren sowie Q10 wiederum in der Zelle benötigt wird, um eine optimale Produktion der bisher bekannten 25 selenabhängigen Enzyme zu ermöglichen. Deshalb wurde die Auswirkung einer Kombination von Selen und Q10 auf die Herzfunktion und die kardiovaskuläre Mortalität untersucht. 5 Jahre lang erhielten 443 ältere Schweden einer ländlichen Gemeinde zwischen 70 und 88 Jahre in einer doppelblinden, placebokontrollierten Studie 200 μg Selen und 200 mg Q10 oder Placebo. Der kardiale Biomarker NT-pro- BNP, echokardiographische Veränderungen und die Mortalität wurden dabei registriert. Weitere Laborparameter sowie Lebensqualität wurden ebenfalls erhoben, sind jedoch Gegenstand anderer Publikationen aus diesen Studien. Während in der Placebogruppe 12,6 % der Teilnehmer an einer kardiovaskulären Krankheit starben, waren dies in der aktiven Behandlungsgruppe nur 5,9 % (p = 0,015). NT-pro-BNP ist ein laborchemischer Marker für die Dehnung von Herzkammern und wird in der Behandlung von Patienten mit Herzinsuffizienz verwendet. Es lag in dieser Studie in der Placebogruppe bei 302 vs. 214 ng/ ml (p = 0,014) in der aktiven Behandlungsgruppe. Auch echokardiographisch zeigte sich unter Behandlung eine signifikant bessere Herzfunktion (p = 0,03) bei denen, die Selen und Q10 erhielten. Die Autoren folgern daraus, dass sich unter Selen und Q10 eine Senkung der kardiovaskulären Mortalität bei Verbesserung der Herzfunktion erreichen lässt [7].

Was passierte nach Abschluss der Studie?

Die Studienmedikation wurde nach Abschluss der Studie nach 4 Jahren beendet. Den Probanden war es möglich, freiwillig und auf eigene Kosten Selen und Q10 weiter einzunehmen, was von 10 % in der Verum- und in der Placebogruppe auch praktiziert wurde (persönliche Mitteilung des Autors). Was passierte aber mit der Sterblichkeit in den beiden Gruppen? Näherten sich die Überlebenskurven wieder an? Liefen sie parallel weiter? Oder wurden die Unterscheide sogar noch größer? In einem 10-Jahres-Follow up wurde in der Verumgruppe eine Hazard ratio von 0,51 im Vergleich zur Placebogruppe für die kardiovaskuläre Mortalität gefunden (p = 0,0003). Für KHK wurde die gleiche Risikoreduktion gefunden (HR 0,51, p = 0,04). Die klinischen Effekte wurden also auch nach Abschluss der Studie nicht geringer, sondern die Unterschiede zwischen beiden Gruppen blieben mindestens erhalten, tendenziell vergrößerten sie sich sogar [4]! Zwei Jahre später wurde die Datenerhebung wiederholt. Nach 12 Jahren betrug die kardiovaskuläre Mortalität 28,1 % in der Interventionsgruppe, aber 45 % in der der Placebogruppe. Die Hazard ratio betrug unter Behandlung 0,59 (p = 0,001). Obwohl die Behandlung Jahre zuvor beendet worden war, persistierten die protektiven Effekte weiterhin [2].

Wird nur das Überleben verbessert oder gibt es noch andere Effekte?

Nach vierjähriger Therapie mit Q10 und Selen oder Placebo wurde zwischen beiden Gruppen ein deutlich geringerer Abfall von Parametern der Lebensqualität wie physische Leistungsfähigkeit, Vitalität oder gesamter Lebensqualität gefunden. Im SF-36-Test kam es unter Placebo zu einem Abfall um 9,6, unter Verum aber nur um 4,5 Punkte (p = 0,04). Bei körperlichen Gesundheitsproblemen betrugen die Abfälle sogar 31,9 vs. 7,4 Punkte (p = 0,008, [11]).

Über welche Mechanismen wurden die Effekte erzielt?

In einer Subanalyse der Studie wurde 223 Teilnehmer auf verschiedene Biomarker getestet. Nach 42 Monaten lagen in der Behandlungsgruppe verschiedene Biomarker von Fibrose wie Cathepsin S, Endostatin, Galectin 3, GDF-15, Matrix Metalloproteinase 1 und 9 sowie TIMP 1 signifikant niedriger als in der Placebogruppe. Lediglich ST-2 zeigte keinen signifikanten Unterschied. Die Entwicklung von weniger Fibrose am Herzen könnte einer der möglichen Wirkmechanismen für den besseren Outcome in der Verumgruppe sein, da weniger Fibrose mit einer besseren Herzfunktion einhergehen könnte [1].

Bei 25 Teilnehmern aus jeder Gruppe wurde microRNA gemessen. Es wurden 145 verschiedene microRNAs von 172 möglichen gemessen. Bei 70 microRNAs gab es signifikante Unterschiede. Die 20 microRNAs mit den größten Unterschieden wiesen bis zu 400 % Unterschied auf. MicroRNAs spielen eine Schlüsselrolle in der Regulation von Protein kodierenden Genen, die wichtig für Heilungsprozesse und die Produktion von Selenoproteinen sind [6]. Die Selen-Serumkonzentration unter den Teilnehmern war mit 67,1 μg/l sehr niedrig.

Die Teilnehmer wurden in drei Gruppen eingeteilt: < 65 μg/l, 65–85 μg/l und > 85 μg/l. In der Placebogruppe fand sich eine geringere kardiovaskuläre Sterblichkeit in der Gruppe mit hohem Selen als in der Gruppe mit niedrigem Selen (13,0 % vs. 24,1 %; p = 0.04). Dies zeigt an, dass Selen ein wichtiger Faktor für das kardiovaskuläre Risiko ist. In der Gruppe mit dem niedrigsten Selenwert zu Beginn lag die Sterblichkeit bei sogar bei 24,1 % in der Placebogruppe, aber nur bei 12,1 % in der Interventionsgruppe. Dies entspricht einer Halbierung des relativen Risikos und einer Reduktion des absoluten Risikos um 12 %. Die NNT liegt also bei etwa 8.

In der Gruppe mit mittleren Selenausgangswerten betrugen die Risiken 14,0 % vs. 6 % mit einer Minderung des absoluten Risikos um 8 % und einer NNT von etwa 12. In der Gruppe mit dem höchsten Selenwert zu Beginn gab es nur eine geringe, aber nicht signifikante Risikoreduktion. Die Risiken lagen also am höchsten bei den Teilnehmern mit niedrigem Selen und hier wurden dann auch die besten Risikoreduktionen erzielt [5]. Die Biomarker Copeptin und MR-proADM. wurden zu Beginn und nach 18 bzw. 48 Monaten gemessen.

In der Placebogruppe kam es zu einem signifikanten Anstieg von Copeptid von 9,4 auf 15,3 pmol/l, während dies in der Interventionsgruppe nicht der Fall war (p = 0,031). Auch beim MR-proADM. wurde in der Placebogruppe ein stärkerer Anstieg als in der Verumgruppe beobachtet. Der Unterschied zwischen beiden Gruppen war auch hier signifikant (p = 0,024). Copeptid und MR-proADM. sind bei Herzinsuffizienz erhöht [3]. Entzündung und oxidativer Stress nehmen eine zentrale Stellung bei vielen Krankheiten ein. Selen ist Bestandteil des antioxidativen Enzyms Glutathionperoxidase. Q10 ist selbst ein Antioxidans. In der Verumgruppe sollten daher Entzündungsparameter wie CRP und sP-Selectin niedriger als in der Placebogruppe sein. Der CRP-Spiegel in der Placebogruppe stieg innerhalb von 48 Monaten von 4,8 auf 5,1 mg/l leicht an, während es unter Q10/Selen zu einem deutlichen Abfall von 4,1 auf 2,1 mg/l kam. SP-Selectin stieg unter Placebo von 56,6 auf 72,3 mg/l, während es in der Q10/Selen-Gruppe nur zu einem kleinen Anstieg von 55,9 auf 58,0 mg/l kam.

Sowohl in den Gruppen mit hoher als auch mit niedrigen Entzündungswerten kam es zu einer Verminderung der kardiovaskulären Mortalität unter Verum [9]. Die Teilnehmer wurden nach ihrem NT-pro-BNP in Quintile eingeteilt. Während es beim ersten und beim fünften Quintil keine signifikanten Unterschiede gab, wiesen die Quintile 2–4, also mit mittelhohen NT-pro-BNP-Werten, einen deutlichen Unterschied in der Mortalität auf. Während unter Placebo 10,6 % starben, waren dies unter Selen und Q10 nur 1,8 %, was hoch signifikant war (p = 0,0006). Eine Langzeitgabe von Selen und Q10 reduziert bei den Patienten mit einer leicht bis mäßig eingeschränkten Herzfunktion die Sterblichkeit [10].

Zusammenfassung

Für Selen und Q10 gibt es aus epidemiologischen und interventionellen Studien Hinweise auf eine verringerte Gesamt- und kardiovaskuläre Sterblichkeit. In einer vierjährigen Studie erzielte die Verumgruppe etwa eine Halbierung der kardiovaskulären Mortalität. Darüber hinaus gab es signifikante Unterschiede bezüglich laborchemischer und echokardiographischer Parameter der Herzfunktion sowie der Lebensqualität zugunsten der Verumgruppe. Erstaunlich ist, dass diese Effekte auch nach einem 10- bzw. 12-Jahres-Follow-up erhalten bleiben. Selen und Q10, in einer ausreichenden Dosierung von 200 μg bzw. 200 mg pro Tag darf bei älteren Menschen als sicher gelten, verbessern Herzfunktion und Lebensqualität und verlängern das Leben signifikant.

Quelle: Zeitschrift für Erfahrungsheilkunde, 2019

Literatur:

[1] Alehagen U, Aaseth J, Alexander J et al. Less fibrosis in elderly subjects supplemented with selenium and coenzyme Q10-A mechanism behind reduced cardiovascular mortality? Biofactors 2018; 44 (2): 137–147

[2] Alehagen U, Aaseth J, Alexander J et al. Still reduced cardiovascular mortality 12 years after supplementation with selenium and coenzyme Q10 for four years: A validation of previous 10-year follow-up results of a prospective randomized double-blind placebo-controlled trial in elderly. PLoS One 2018; 13 (4): e0193120. doi: 10.1371/journal.pone.0193120

[3] Alehagen U, Aaseth J, Johansson P. Less increase of copeptin and MR-roADM. due to intervention with selenium and coenzyme Q10 combined: Results from a 4-year prospective randomized double-blind placebo-controlled trial among elderly Swedish citizens. Biofactors 2015; 41 (6): 443–452

[4] Alehagen U, Aaseth J, Johansson P: Reduced Cardiovascular Mortality 10 Years after supplementation with selenium and coenzyme Q10 for four years: follow-up results of a prospective randomized double-blind placebo-controlled trial in elderly citizens. PLoS One 2015; 10 (12): e0141641. doi: 10.1371/journal.pone.0141641

[5] Alehagen U, Alexander J, Aaseth J. Supplementation with selenium and coenzyme Q10 reduces cardiovascular mortality in elderly with low selenium status. A secondary analysis of a randomised clinical trial. PLoS One. 2016 Jul 1;11(7): e0157541. doi: 10.1371/journal.pone.0157541

[6] Alehagen U, Johansson P, Aaseth J et al. Significant changes in circulating microRNA by dietary supplementation of selenium and coenzyme Q10 in healthy elderly males. A subgroup analysis of a prospective randomized double-blind placebo-controlled trial among elderly Swedish citizens. PLoS One 2017; 12 (4): e0174880. doi: 10.1371/journal. pone.0174880

[7] Alehagen U, Johansson P, Björnstedt M et al. Cardiovascular mortality and N-terminal-proBNP reduced after combined selenium and coenzyme Q10 supplementation: a 5-year prospective randomized double-blind placebo-controlled trial among elderly Swedish citizens. Int J Cardiol 2013; 167 (5):1860–1866

[8] Alehagen U, Johansson P, Björnstedt M et al. Relatively high mortality risk in elderly Swedish subjects with low selenium status. Eur J Clin Nutr 2016; 70 (1): 91–96

[9] Alehagen U, Lindahl TL, Aaseth J et al. Levels of sP-selectin and hs-CRP Decrease with dietary intervention with selenium and coenzyme Q10 combined: A secondary analysis of a randomized clinical trial. PLoS One 2015; 10 (9): e0137680. doi: 10.1371/journal.pone.0137680

[10] Johansson P, Dahlström Ö, Dahlström U et al. Effect of selenium and Q10 on the cardiac biomarker NT-proBNP. Scand Cardiovasc J 2013; 47 (5): 281–288

[11] Johansson P, Dahlström Ö, Dahlström U et al. Improved health-related quality of life, and more days out of hospital with supplementation with selenium and coenzyme Q10 combined. Results from a double blind, placebo-controlled prospective study. J Nutr Health Aging 2015; 19 (9): 870–877

[12] Mortensen SA, Rosenfeldt F, Kumar A et al. Q-SYMBIO Study Investigators: The effect of coenzyme Q10 on morbidity and mortality in chronic heart failure: results from Q-SYMBIO: a randomized double-blind trial. JACC Heart Fail 2014; 2 (6): 641–649