Demenz – „Ich habe mich sozusagen verloren“

Auguste D.Auguste D. hat den traurigen Rekord inne, die erste Alzheimer Patientin der Welt zu sein. Im Jahre 1906 untersuchte Dr. Alois Alzheimer in der „Anstalt für Irre und Epileptische“ (political correctness war vor 100 Jahren noch ein Fremdwort) eine Frau, die einen raschen geistigen und körperlichen Verfall aufwies. In einem ihrer noch lichten Momente sprach Auguste D. das obige Zitat aus, welches ihren Zustand treffend umschreibt. Das Foto zeigt sie im Alter von 51 Jahren. Kurze Zeit danach verstarb sie geistig völlig umnachtet. Die Gesprächsprotokolle von Dr. Alzheimer sind auch heute noch erhalten und menschlich sehr berührend.

Ronald Reagan, einer der berühmtesten Alzheimerpatienten der Welt schrieb in einem Brief, in dem er sich vor der Welt als von der Alzheimerkrankheit betroffen outete: „Ich beginne nun die Reise, die mich zum Sonnenuntergang meines Lebens führt.“ Iris Murdoch, eine britische Schriftstellerin, bemerkte ebenso treffend: „Ich segele in die Dunkelheit.“ Und wie grausam muss das Schicksal sein, wenn es ausgerechnet den Schriftsteller, Literaturwissenschaftler und Rhetorikprofessor Walter Jens sagen lässt: „Mir ist die Sprache gestorben.“

Dr. Alzheimer

Zurück zu Dr. Alzheimer. Es ist schon sehr merkwürdig, dass diese Krankheit mit ihrer auffälligen Symptomatik und der raschen Progredienz erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts beschrieben wurde. Unsere Altvorderen in der Medizin hatten zwar nur ein beschränktes diagnostisches und therapeutisches Repertoire zur Verfügung. Sie waren aber gute Beobachter. Es ist wirklich merkwürdig, dass keinem Arzt der doch sehr auffällige und typische Verlauf aufgefallen ist – oder gab es solche Fälle einfach gar nicht?

Wenn ich diese Frage in Vorträgen stelle, erhalte ich immer die Antwort, dass die Menschen ja vor ein paar hundert Jahren nur 30 Jahre alt geworden sind. Dabei wird aber das Maximalalter mit dem statistischen Durchschnittsalter verwechselt. Das Durchschnittsalter des Todes lag bei nur 30 Jahren, weil die hohe Kindersterblichkeit den Durchschnitt so nach unten gezogen hat. Hatte man erst einmal die gefährliche Kindheit überstanden, so hatten die Menschen gute Chancen, auch 60, 70 oder 80 Jahre alt zu werden (Goethe wurde 82 Jahre alt).

Alzheimer scheint also eine Krankheit des 20. Jahrhunderts zu sein. Wir wissen zwar, dass es genetische Faktoren gibt, die die Wahrscheinlichkeit des Auftretens erhöhen (z.B. ApoE4). Umweltfaktoren wie Homocystein, Vitamin D-Mangel, schlechte Versorgung mit Omega-3, im Alter weniger soziale Kontakte als in der Großfamilie früher, Bewegungsmangel etc. scheinen jedoch eine mindestens genauso große Rolle zu spielen.

Da Demenz im Allgemeinen und Alzheimer im Besonderen schon aufgrund der demographischen Struktur der Bevölkerung immer häufiger werden, würde ein Pharma-Firma, die hier ein wirksames Medikament entwickelt, riesige Profite erzielen können. Leider sind die Anstrengungen bisher nur von sehr bescheidenen Erfolgen gekrönt gewesen. Wikipedia beschreibt die Situation süffisant: „Zu den Antidementiva mit gering belegter Wirkung zählen Acetylcholinesterase-Inhibitoren Donepezil (Aricept), Rivastigmin (Exelon), Galantamin (Reminyl) und NMDA -Antagonisten (Memantin (Ebixa, Axura)). … Neben den genannten Präparaten existieren zahlreiche Medikamente, deren Wirkung auf die Demenz wissenschaftlich bisher nicht zu beweisen war.“ Also, wir haben die Wahl zwischen kaum und gar nicht wirksam.

https://de.wikipedia.org/wiki/Antidementivum

In Review kam nach der Untersuchung von 22 Studien mit solchen Präparaten zum Schluss, dass zwar kognitive Verbesserungen von Verum im Vergleich zu Placebo nachzuweisen sind, diese seien aber klinisch so gering, dass die wissenschaftliche Basis für die Empfehlung von Cholinesterasehemmern zur Behandlung von Demenz sehr fraglich ist. Für die anderen Mittel existiert keine bessere Datenlage.

https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC1183129/

In Frankreich hat man bereits Konsequenzen daraus gezogen: „Eine Prüfung durch die obersten französischen Gesundheitsbehörden hat gezeigt: Die Medikamente schaden mehr als sie nützen. Nun dürfen sie dort nicht mehr zulasten der Krankenkassen verordnet werden. In Deutschland ist ein solcher Schritt nicht so leicht möglich.“

https://alzheimer.ch/de/wissen/medizin/magazin-detail/478/frankreich-stoppt-kostenerstattung-fuer-alzheimer-mittel/

Es existieren zwar einige Studien, die kleine Verbesserungen kognitiver Parameter aufzeigen (s.o), aber meines Wissens keine einzige, die belegt, dass etwa Pflegebedürftigkeit oder Heimeinweisungen hinausgezögert würden, was ja immerhin einen bedeutsamen Nutzen darstellen würde. In einer Studie (deren Quelle ich leider nicht mehr finde) fanden sich unter Donepezil sogar 18 % höhere Kosten für Pflege und 24 % höhere Kosten für Hospitalisierungen – aufgrund von Lungenentzündungen durch Aspiration von Erbrochenem durch die Nebenwirkung Übelkeit.

In einer anderen Studie (Laske, C.; Morawetz, C.; Buchkremer, G.; Wormstall, H.: Präventive Maßnahmen bei demenziellen Erkrankungen, DÄ, Jg. 102, B1210-16) hat man so etwas wie eine Impfung gegen die Amyloid-Ablagerungen im Gehirn der Alzheimer-Patienten entwickelt. Und es hat funktioniert: Der kognitive Abbau wurde immerhin verzögert. Leider kam es bei jedem 20. Patienten (nicht wenige) zu schweren Gehirnentzündungen, so dass dieser Weg nicht weiterverfolgt wurde.

Eine ganz neue Studie wird sogar als Schlag ins Wasser bezeichnet. Ein Anti-Dementivum vom Typ der Beta-Sekretase-Hemmer führt sogar zu einem schnelleren kognitiven Abbau als das Placebo. Na, Klasse!

https://www.aerztezeitung.de/medizin/krankheiten/demenz/article/985374/schlag-demenzforschung-anti-alzheimer-wirkstoff-beschleunigt-kognitiven-abbau.html?sh=10&h=56289645

Dabei wissen wir doch schon seit Jahren, was hilft (zumindest präventiv, ist das Kind erst einmal in den Brunnen gefallen, ist ein Stillstand noch das Beste, was man erreichen kann):

  • Körperliche Bewegung vermindert das Risiko für Alzheimer (sowohl Alzheimer als auch gefäßbedingt) um etwa die Hälfte.
  • Übergewicht: Pro Anstieg des BMI um einen Punkt steigt das Alzheimer-Risiko um etwas 1/3 an.
  • Höhere Intelligenz (ok, das kann sich nicht jeder aussuchen) und bessere Bildung (das schon!) schützen vor Demenz.
  • Fehlende oder unbefriedigende soziale Kontakte im Alter (heute wohl eher die Regel als die Ausnahme) erhöhen das Demenzrisiko um 60-100 %.
  • Homocysteinspiegel über 15 µmol/l (das ist noch eine mäßige Erhöhung) verfünffachen (!) das statistische Risiko für Demenz. Die B-Vitamine Folsäure, B6 und B12 können hier helfen.
  • Regelmäßiger Kaffeekonsum (na, das wird doch viele freuen) halbiert das Risiko.
  • Moderater Alkoholkonsum (wobei die Betonung auf moderat liegt!) führt auch zu einer signifikanten Risikominderung.
  • Sekundäre Pflanzeninhaltsstoffe wie Curcumin sind auch hilfreich.
  • Vitamin D und Omega-3 (eben die alten Verdächtigen) sind natürlich auch wieder als klare Schutzfaktoren dabei.

Fazit: Ein normalgewichtiger, sportlicher, intelligenter (gut ausgebildeter), an sozialen Kontakten reicher Mensch, der sich vitamin- und gewürzreich und mit Fisch ernährt, der gelegentlich ein Gläschen Wein und ein Tässchen Kaffee/Tee trinkt und die die Sonne nicht meidet …wird praktisch nicht dement!

Im nächsten Newsletter soll die Rolle von Vitamin D, Omega-3 und sekundären Pflanzeninhaltsstoffen etwas näher beleuchtet werden.

Mit herzlichen Sommergrüßen,
Dr. Volker Schmiedel

Studie des Monats

Auch wenn die Risiken längst nicht geklärt sind, werden uns Politik und Industrie wohl flächendeckend mit dem 5G-Netz beglücken – ob wir das wollen oder nicht. Selbstfahrende Autos sind ja wichtiger als mögliche Gesundheitsrisiken für die Bevölkerung.

Bei der Suche nach einer Studie für einen neuen Vortrag bin ich überraschenderweise auf eine sehr interessante Arbeit über die Auswirkungen von elektromagnetischer Strahlung auf den Hippocampus gestoßen. Ratten wurden 12 Wochen lang nur eine Stunde (!) am Tag einer hochfrequenten elektromagnetischen Strahlung ausgesetzt. Die Frequenz lag dabei sogar noch etwas unterhalb der von 4G. Nach 12 Wochen fand man bei den der Strahlung ausgesetzten Ratten 40 % weniger Nervenzellen im Hippocampus, einer für das Gedächtnis enorm wichtigen Hirnregion! Die Gruppen von Ratten, die Melatonin erhielten, behielten all ihre Hippocampus-Zellen. In der Gruppe der Ratten, die Omega-3-Fettsäuren erhielten, fand sich nicht nur eine komplette Verhinderung des Hippocampus-Abbaus, sondern sogar eine tendenzielle Vergrößerung. Es ist nicht gesichert, ob diese Forschungsergebnisse einfach auf den Menschen und die 5G-Strahlung übertragen werden können. Aber niemand macht etwas falsch, sich mit diesen Substanzen gut auszustatten.

Studie des Monats - Teil 2Studie des Monats - Teil 1

 

Hier noch einige Buchtipps des Monats passend zur Thematik:

Erica Bänziger, Dr. med. Volker Schmiedel und Dr. med. Michael Nehls

Demenz vorbeugen: mediterran essen

Zum Buch

Dr. med. Volker Schmiedel

Omega-3 – Öl des Lebens
für mehr Gesundheit

Zum Buch

Dr. med. Michael Nehls

Die Formel gegen Alzheimer

Zum Buch

Dr. med. Michael Nehls

Algenöl – Die Ernährungsrevolution aus dem Meer

Zum Buch

Rezept des Monats: Omega-Bulletproof-Coffee

Sie haben bestimmt schon vom Bulletproof-Coffee gehört. Das Internet ist voll davon. Bei youtube gibt es auch jede Menge Rezepte. Er soll geradezu ein Doping für unsere geistige Leistungsfähigkeit darstellen. Koffein regt unsere kleinen grauen Zellen tatsächlich an. Und die MCT-Fette im Kokosöl fördern die Bildung von Ketonen, die ein perfektes Brainfood darstellen – auch wenn eine Freiburger Professorin es nicht für nötig hält, ihre Beschimpfungen („Kokosöl ist das reine Gift!“) wissenschaftlich zu belegen.

Neben Kokosöl und Kaffee enthält der Bulletproof-Coffee noch Butter. Und hier kommt meine Modifikation: Ich ersetze die Butter durch Omega-3, dann haben unsere Neuronen noch mehr vom Kaffee. Hier also das Rezept:

  • 1 Tasse (möglichst biologischen und fair gehandelten) Kaffee
  • 1 TL Kokosöl
  • 1 TL Fisch- oder Algenöl
  • 1 TL Lezithinpulver
  • Wenn nötig, zum Süßen Stevia (oder ein wenig kaltgeschleuderten Honig)
  • Wenn nötig, mit etwas Milch (z.B. Mandel-, Kokos-, Reis- oder Hafermilch) auffüllen

Zubereitung: Kokos- und Omega-3 mit dem Lezithin als Emulgator zu einer homogenen Masse verrühren. Es geht auch ohne Lezithin, aber damit schwimmen keine Fettaugen auf dem Kaffee und Lezithin ist auch noch gut für das Gehirn. Als Omega-Quelle nimmt man hier besser ein Dorsch- als ein anderes Öl, weil dieses mehr DHA (besser für die Nerven als EPA) enthält. Vegetarier sind hier mit dem DHA-reichen Algenöl von vornherein gut aufgestellt. Ein normales Fischöl ist aber auch besser als gar nichts oder als Butter. Den heißen Kaffee dann dazu geben (und ggf. ein Süßmittel und Milch). Zucker, besonders Fruchtzucker (normaler Haushaltszucker enthält 50 % Fruchtzucker) verschlechtert unsere kognitiven Fähigkeiten. Wohl bekomm´s!

aufgeschnappt und kommentiert – aufgeschnappt und kommentiert

Demenz – haben denn alle ihren Verstand verloren?

Dr. med. Quintus Querulantius merkt hierzu an: Im letzten Newsletter ging es um die Kritik von Ärzten, Journalisten und Institutionen an den wahnsinnig hohen Ausgaben von fast 100 Millionen Euro für völlig unnötige Vitamin D-Supplemente.

Aufgrund einer Pressemitteilung über eine Demenz-Studie, bei der die Patienten unter dem Verum einen schnelleren kognitiven Abbau verzeichneten, habe ich mir die Anti-Dementiva mal genauer angeschaut.

Natürlich gibt es zu jeder Meinung auch eine Gegenmeinung. Aber selten habe ich in der Medizin einen so starken Konsens gefunden, dass Anti-Dementiva zwar viel Geld kosten, aber praktisch keinen Nutzen entfalten. Dem in Studien nachgewiesenen marginalen Nutzen stehen hohe Kosten, zahlreiche Nebenwirkungen und teilweise sogar eine nachgewiesen erhöhte Sterblichkeit (!) gegenüber.

Die jetzt veröffentlichte Studie ist nur der letzte Akt eines Trauerspiels. Die Datenlage pro Anti-Dementiva ist so wenig überzeugend, dass Frankreich einen Schlussstrich gezogen und diese Mittel aus der Kostenerstattung genommen hat. Dieselbe Pressemitteilung, in der ich das gelesen habe, bezweifelt allerdings, dass Deutschland hier nachzieht, obwohl es längst überfällig wäre und jedes Jahr mehr als 100.000.000 Euro dafür ausgegeben werden, die an anderer Stelle vielleicht mehr Nutzen entfalten würden. «Fehlende Nutzenbelege bei einzelnen Endpunkten sind für einen Ausschluss nicht ausreichend», teilt der Gemeinsame Bundesausschuss mit, der für Verordnungsausschlüsse und Therapiehinweise zuständig ist. Institutionen, die ganz schnell bei der Hand sind, naturheilkundliche Präparate vom Markt zu nehmen oder erst gar nicht zuzulassen, schützen teure und wissenschaftlich äußerst umstrittene Präparate!

Dabei sind seit vielen Jahren Studien bekannt, die den Nutzen von Maßnahmen des Lebensstiles zur Vermeidung von Demenz klar belegen: Gesunde Ernährung, normales Gewicht, Vermeiden von Nikotin, moderater Umgang mit Kaffee und Alkohol, körperliche Bewegung, gute Bildung, die Motivation für lebenslanges Lernen und befriedigende soziale Kontakte vermindern die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Demenz. Von der „medikamentösen Seite“ gibt es bei gleichzeitiger Nebenwirkungsfreiheit und geringen Kosten deutliche Hinweise auf den Nutzen von Supplementen wie B-Vitaminen, Vitamin D und Omega-3-Fettsäuren. Wir brauchen keine Forschung mehr über neue und noch teurere Anti-Dementiva. Wir benötigen vielmehr Studien, die den Nutzen von Kombinationen der oben angegebenen Maßnahmen erforschen und der Frage nachgehen, wie wir größere Teile der Bevölkerung zu einem solchen demenz-vorbeugendem Handeln bewegen können. Das Problem ist nur, dass daran kein Geld verdient wird.

Herzliche Grüße und einen sonnigen, demenzpräventiven Sommer (Vitamin D),
Ihr Dr. med. Quintus Querulantius

aufgeschnappt und kommentiert – aufgeschnappt und kommentiert

 

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