In diesem Artikel (2016 in der EHK erschienen) werden wichtige Begriffe diagnostischer Methoden wie Objektivität, Reliabilität, Validität, Sensibilität und Spezifität thematisiert und überprüft, inwieweit naturheilkundliche Methoden daraufhin überprüft wurden. Exemplarisch wurden die Kinesiologie und die Elektroakupunktur nach Voll genauerer Betrachtung unterzogen.

Ist die naturheilkundliche Diagnostik überhaupt noch natürlich?

Auch im naturheilkundlichen Bereich scheint die Anzahl an High-Tech-Geräten immer mehr zuzunehmen, um so vermeintliche Regulationsstörungen aufzudecken. Entfernt man sich somit nicht immer mehr von der klassischen Naturheilkunde nach Pfarrer Kneipp, die Ordnungstherapie, Phytotherapie, Hydrotherapie, Thermotherapie, Bewegung und Ernährung umfasst?

Aber der ökonomische Markt wird immer größer und auch die Patienten erwarten neue sensationelle Methoden. Ob diese neuen Methoden jedoch halten, was sie versprechen ist fragwürdig. Wie bereits im Studium gelernt, muss ein Test drei Merkmale nachweisen können: Objektivität, Reliabilität und Validität.

  1. Objektivität: Das Ergebnis ist unabhängig vom Untersucher

Ein Test ist dann objektiv, wenn die äußeren Rahmenbedingungen, z.B. Raum, Temperatur und besonders der Untersucher keinen Einfluss auf das Ergebnis haben.

Zwar sind die meisten medizinischen Messgeräte sehr objektiv, wie beispielsweise Röntgen, Ultraschall, CT usw., die Beurteilung der Ergebnisse ist jedoch meist eher subjektiv. Wie z.B. die Beurteilung der Gefäße des Augenhintergrunds, des PAP-Stadiums oder teilweise auch bei einer Mammographie. Hier ergeben sich oft große Differenzen zwischen unterschiedlichen Beurteilern.

  1. Reliabilität: Ein Test ist zuverlässig reproduzierbar

Ein Test ist dann reliable, wenn die Messung unter ähnlichen Messbedingungen zuverlässig ist. D.h. wenn sich innerhalb einer kurzen Zeitspanne und ohne therapeutische Intervention, kaum unterschiedliche Ergebnisse ergeben. Gültig ist dies nicht nur für die Schulmedizin, sondern auch für die alternative Komplementärmedizin. Um eine Zulassung für ein Testverfahren zu erhalten, muss Reliabilität in der Schulmedizin nachweisbar sein, in der Naturheilkunde ist mir dies bislang nicht bekannt.

  1. Validität: Ein Test misst, was er zu messen vorgibt

Ein Test ist dann valide, wenn sich das Messverfahren bezüglich einer Fragestellung eignet. Oft können medizinische Verfahren Ergebnisse zwar mit einer großen Wahrscheinlichkeit bestimmen, aber keine 100 %-ige Sicherheit liefern.

Wie zeigt sich dies in der Naturheilkunde, z.B. in der Kinesiologie?

Angewandte Kinesiologie bei Allergien

Unter angewandter Kinesiologie versteht man ein bestimmtes Diagnose- und Behandlungskonzept in der Alternativmedizin. Anhand eines Muskeltests wird der funktionelle Zustand des Körpers geprüft, da sich gesundheitliche Störungen in bestimmten Muskelgruppen zeigen sollen. Häufige Anwendung findet dieses Verfahren, um unter anderem Lebensmittel-, Medikamenten- oder zahnärztliche Werkstoffe-Unverträglichkeiten aufzudecken.

Bei einer Studie, an der Bienen- und Wespenallergiker teilnahmen, wurde die Kinesiologie getestet. Es war eine Doppelblind-Studie mit zwei Untersuchern, einem sehr erfahrenen und einem unerfahrenen. Beide Untersucher erzielten die gleiche Sensitivität von nur 44 %, ein Würfelwurf wäre also präziser gewesen. Eine weitere Studie, die die Reliabilität untersuchte, kam zu einem ähnlichen Ergebnis. Die Reliabilität lag auf Münzwurfniveau.

Es gibt einige Kinesiologen, die mit ihren Tests Erfolge erzielen und Unverträglichkeiten diagnostizieren, die sonst nicht eruiert worden wären. Allerdings sollte man sich die Frage stellen, was genau die Kinesiologie misst. Ist es die Erwartung bzw. Intuition des Untersuchers oder des Probanden? Würde man geeignete Studien durchführen, könnte man darüber mehr Klarheit schaffen.

Elektroakupunktur nach Voll (EAV)

Hier wird die Messung des elektrischen Hautwiderstands zu diagnostischen Zwecken thematisiert. Mit diesem Verfahren möchte man Informationen über den funktionellen Widerstand verschiedener Organe bzw. des Körpers gewinnen. Auch hier sollen Unverträglichen erkannt und das dazu passende homöopathische Medikament getestet werden.

Zu dem sogenannten EAV gibt es kaum wissenschaftliche Untersuchungen. Die zwei Studien, die man dazu finden kann, liefern 1. das Ergebnis, dass Qigong das vegetative Nervensystem beeinflussen kann, gibt aber keinerlei Aufschluss über die Wirksamkeit von EAV und 2. zeigt eindeutig, dass EAV nicht als präzises Testverfahren verstanden werden kann.

Resümee und persönliches Statement

Insbesondere habe ich hier die Kinesiologie und EAV betrachtet, da diese zu bekannten naturheilkundlichen Diagnostikverfahren zählen, es trotzdem nicht viele wissenschaftliche Grundlagen für die diagnostische Wirksamkeit dieser gibt (und wenn dann nur diesbezüglich negative). Zu neueren Verfahren folglich wahrscheinlich noch weniger.

Besonders entsetzend finde ich es, wenn Therapeuten die Wirksamkeit, der leider unbewiesenen Verfahren, ihren hilfesuchenden und hoffnungsvollen Patienten als unwiderlegbare Wahrheit präsentieren. Solche Untersuchungen könnten gut als Grundlage für weitere Test mit anerkannten reliablen Verfahren verwendet werden.

Wenn es aber sogar so weit geht, dass Patienten wegen Diagnoseverfahren, deren Validität nicht belegbar ist, aufwändige und teure Therapien kaufen, so ist dies nicht weniger verwerflich als die Maßnahmen, der häufig gescholtenen Pharma-Industrie.

Meiner Meinung nach sollte eine Methodendiskussion angeregt werden. Es würde mich sehr freuen, wenn durch diesen ohne Zweifel provokativen Artikel eine kontroverse Diskussion in der Naturheilkunde entsteht, die vor allem mit Respekt und für das Wohl des leidenden Patienten geführt wird.

Quelle: Naturheilkunde. EHK 2016; 65: 120–126