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Die hohe Kunst

des ärztlichen Nicht-Tuns

DR. MED. VOLKER SCHMIEDEL

Ärztliche Leitlinien geben vor, was bei bestimmten Krankheiten oder Symptomen zu tun ist. Bisher gab es jedoch kaum Empfehlungen dazu, was besser zu unterlassen sei. Um dem Patienten das Gefühl zu geben, dass etwas passiert und der Rolle des ärztlichen Helfers gerecht zu werden, werden nicht selten Maßnahmen verordnet, deren Nutzen durchaus zweifelhaft erscheint.

Das Patientenwohl an erste Stelle setzen

Die Grundidee von „choosing wisely“ – auf Deutsch meist mit „klug entscheiden“ übersetzt – stammt ursprünglich von dem Arzt und Ethiker Howard Brody. Er forderte im Jahre 2010 die Kollegen im „New England Journal of Medicine“ auf, endlich dem Anspruch gerecht zu werden, das Patientenwohl an erster Stelle zu sehen und Verantwortung für die großen Unterschiede in der Gesundheitsversorgung zu übernehmen. Unter dem Dach von „choosing wisely“ haben mittlerweile 70 Fachgesellschaften eigenverantwortlich sogesogenannte Top-5-Listen mit insgesamt gut 450 Empfehlungen zu Untersuchungen und Behandlungen mit fragwürdigem Zusatznutzen erstellt.

Motivierend wirkt auch, dass „choosing wisely“ von Ärzten getragen wird und die Kritik nicht von außen erfolgt. Gegen Überversorgung vorzugehen, dem Patientenwohl zu dienen und die Qualität der Gesundheitsversorgung zu verbessern, entspricht dem Berufsethos der meisten Ärzte. Viel hilft nicht immer viel, und mehr Medizin ist nicht immer besser. Mehr als die Hälfte der deutschen Bevölkerung ist der Überzeugung, dass medizinisch überflüssige Leistungen nicht nur gelegentlich, sondern oft oder sehr oft in deutschen Arztpraxen vorkommen, wie eine Umfrage der Bertelsmann Stiftung zeigt. Beispiele: Bestimmte kardiologische Verfahren werden in manchen Ländern dreimal so häufig genutzt wie in anderen, wobei regionale Unterschiede innerhalb einzelner Länder noch viel größer sein können – das ist medizinisch und rational nicht zu begründen. Die Wahrscheinlichkeit, ein neues Kniegelenk zu bekommen, ist in Kanada, Portugal und Spanien extrem vom Wohnort des Versicherten abhängig und kann in manchen Landesteilen fünfmal so hoch sein wie in anderen. Für Deutschland hat der „Faktencheck Gesundheit“ der Bertelsmann Stiftung ebenfalls große regionale Unterschiede in der Gesundheitsversorgung festgestellt.

Besser ist es, gar nichts zu tun als das Falsche

Oft denkt der Arzt aber, er müsse irgendetwas tun, der Patient erwarte es doch von ihm und fühle sich sonst gar nicht und daher schlecht behandelt. Um Frustration auf beiden Seiten zu vermeiden, ist eine gute Arzt-Patienten-Kommunikation erforderlich. Dem Patienten sollte dabei aufgezeigt und begründet werden, dass gar nichts zu tun manchmal eben besser sei als das Falsche zu tun (das hat jetzt gar nichts zu tun mit der gleichlautenden Aussage eines Vorsitzenden einer kleinen politischen Partei). Jeder Beteiligte muss sich dabei an die eigene Nase fassen – der Arzt sollte von seinem Allmachtstreben Abstand nehmen, immer etwas tun zu müssen, und der Patient von seinem Anspruchsdenken, er müsse für seinen Krankenkassenbeitrag doch auch eine Gegenleistung bekommen und irgendeine sei doch besser als gar keine. Choosing wisely schlägt fünf Fragen vor, die man im Zweifel dem Arzt stellen soll:

  • Brauche ich wirklich diesen Test, diese Maßnahme, diese Therapie?
  • Was sind die Risiken und Nebenwirkungen?
  • Gibt es einfachere und sichere Alternativen?
  • Was passiert, wenn ich einfach gar nichts tue?
  • Was kostet diese Maßnahme und wird sie
    von meiner Versicherung bezahlt?

Ich rate meinen Patienten bei ganz wichtigen Maßnahmen wie etwa einer großen Operation oder der Einnahme einer nebenwirkungsreichen Medikation immer noch gern zu einer weiteren „Gretchen-Frage“ in Anlehnung an den oben erwähnten „kardiologischen Schwager“: „Würden Sie diese Maßnahme bei sich selbst/Kindern/Eltern (je nach Situation) ganz genauso durchführen?“ Wenn der Arzt bei der Antwort eine Sekunde zu lange zögert oder plötzlich
andere Anzeichen von Unsicherheit zeigt, dann sollte man sich diese Maßnahme sehr gut überlegen und gegebenenfalls eine Zweitmeinung einholen. Weniger kann mitunter mehr sein!

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