Wer schon seit vielen Jahren meinen Newsletter bezieht, wird sich vielleicht daran erinnern, dass ich den heutigen Beitrag schon einmal vor mehr als zehn Jahren brachte. Aus aktuellem Anlass (für mich persönlich, siehe unten) und weil die Thematik für viele andere sicher auch aktuell ist, wärme ich den Newsletter also noch einmal auf.

Die Kunst der Gelassenheit

Die Sonne und der Wind stritten sich, wer von ihnen stärker sei. Sie wollten sich an einem Mann mit einem Wintermantel messen. Der Wind sollte zuerst seine Stärke beweisen. Er pustete gegen den Mann an und versuchte, ihm den Mantel auszuziehen. Doch je mehr er wehte, desto stärker hielt der Mann seinen Mantel fest. Der Wind steigerte sich zu einem Sturm. Doch es gelang ihm nicht, den Mann von seinem Mantel zu befreien, denn der Mann hielt den Mantel krampfhaft immer fester. Schließlich musste der Wind seine vergeblichen Anstrengungen aufgeben. Nun war die Sonne an der Reihe, ihr Glück zu versuchen. Doch sie tat überhaupt nichts, als nur in Ruhe zu scheinen. Der Mann ging zunächst unbehelligt weiter. Doch je länger er im Sonnenschein spazieren ging, desto wärmer wurde ihm. Zunächst öffnete er nur die Knöpfe seines Mantels. Die Sonne schien weiter. Nach einer Weile musste der Mann seinen Mantel ausziehen. Die Sonne hatte gewonnen. Sie hatte sich nicht so angestrengt wie der Wind. Sie tat gelassen nur das, was sie ohnehin am besten konnte.

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Es bestand kein Zweifel: Frau Krämer (Name geändert) ging es wirklich nicht gut. Sie war immer eine Powerfrau gewesen und hatte ihre Arbeit stets zur vollsten Zufriedenheit ihrer Vorgesetzten erfüllt und sich auch Zusatzaufgaben übernommen. Sie wollte alles immer besonders gut machen – weniger weil andere dies von ihr verlangten, sondern vielmehr, weil sie einen sehr hohen Anspruch an sich selbst stellte. Krankheiten kannte sie nicht. Sie ging sogar mit leichtem Fieber zur Arbeit, wenn es irgendwie ging.

Vor einem Jahr hatte sich das geändert. Ein fieberhafter Infekt zwang sie für eine Woche ins Bett. Danach war sie wieder ihren Verpflichtungen nachgegangen, trotzdem sie sich noch nicht fit fühlte. Sie hatte sich von dem Infekt nicht richtig erholt, sie fühlte sich schlapp, der Schlaf war schlecht und nicht mehr erholsam, kleinste Anstrengungen erschöpften sie vollends. Auch das Wochenende oder der Urlaub waren kaum mehr erholsam. Immer wieder kam es zu neuen Infekten, die sie noch weiter schwächten. Oft beobachtete sie leichte Temperaturanstiege und Schwellungen der Halslymphknoten. Und das geschah ausgerechnet ihr, die sich über die „Weicheier“, die bei jedem kleinen Husten schon auf der Nase liegen, immer aufgeregt hatte.

Frau Krämer suchte verzweifelt nach einer Ursache für ihre Beschwerden. Dass ihr so eine ungekannte Schwäche passierte, konnte nicht, durfte einfach nicht sein. Sie suchte zuerst ihren Hausarzt auf, der ihr zwar beim nächsten Infekt ein Antibiotikum und Aspirin verordnete, damit sie „wirklich rasch wieder auf die Beine kommt“. Davon bekam sie Magenschmerzen und Durchfall, an ihrer Erschöpfung änderte sich nichts. Der HNO-Arzt ging viel sorgfältiger zu Werke, was Frau Krämer zunächst gut gefiel. Er nahm Abstriche von Nasenhöhlen und Rachen, nachdem er dieselben mit seinen Geräten eingehend untersucht hatte. Eine große Blutuntersuchung mit Blutbild, Differentialblutbild, Entzündungswerten und Antikörpern gegen verschiedene Viren und Bakterien ergänzte das diagnostische Procedere. Jetzt musste doch etwas gefunden werden! Doch bis auf eine leichte Erhöhung der Entzündungswerte fand sich nichts Auffälliges. Frau Krämer verließ die Facharztpraxis mit einem Rezept für ein anderes Antibiotikum, welches sie dann aber aus Verzweiflung und wegen der schlechten Erfahrungen mit dem ersten Mittel nicht mehr einnehmen mochte.

Eine Bekannte gab ihr schließlich die Adresse einer Koryphäe für Immunschwäche und Erschöpfung. Dieser veranlasste eine Vielzahl von Blut- und Stuhluntersuchungen, die alle privat bezahlt werden mussten. Immerhin fand sich dabei eine Candida-Pilz-Belastung des Darmes (nach der vorangegangenen Antibiose eigentlich nur „natürlich“), die dann mit Nystatin, einem anderen, gegen Pilze gerichteten Antibiotikum, behandelt wurde. Außerdem wurde eine Epstein-Barr-Virus-Infektion diagnostiziert, da sie hohe Antikörper-Titer gegen dieses Virus aufwies, welches für die Mononukleose bzw. das Pfeiffersche Drüsenfieber verantwortlich ist. Dass nur die IgG-Antikörper hoch waren, die für eine zurückliegende Infektion sprechen, nicht aber die IgM-Antikörper, die eine akute bzw. kurz zurückliegende Infektion anzeigen, verschwieg ihr die „Koryphäe“. Beide, Arzt und Patientin, waren froh, endlich „die Ursache“ der Beschwerden gefunden zu haben. Da der EB-Virus auf Antibiotika nicht anspricht, verschrieb ihr der Arzt zahlreiche Spezialmittel auf Nährstoff- bzw. Pflanzenbasis, die teilweise in Deutschland nicht erhältlich und sehr teuer waren. Frau Krämer nahm geduldig für mehrere Wochen alle Präparate ein, ohne dass die Beschwerden sich auch nur im mindestens besserten.

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In der afrikanischen Wüste haben die Buschmänner eine findige Methode entwickelt, Affen zu fangen. Sie suchen sich einen Baum mit einem Loch, in welches gerade eine Affenhand mit Mühe hineinpasst. Dann legen sie ein paar Nüsse in die Höhlung des Baumes und beobachten das Geschehen. Sie entfernen sich von dem Baum soweit, dass sie den Baum gut sehen können, es für die Affen aber keine direkte Bedrohung darstellt. Langsam nähert sich scheinbar unbeteiligt ein Affe dem Baum. Die Buschmänner tun auch so, als würde sie das Ganze nicht interessieren. Schließlich steckt der Affe seine lang gestreckte Hand in das enge Loch, um in der Höhlung nach den Nüssen zu suchen. In dem Moment, wenn der Affe die Nüsse mit seiner Hand gepackt hat und gerade versucht, die Hand aus dem Loch zu zwängen, stürzen die Buschmänner herbei. Der Affe bekommt Panik und versucht mit aller Kraft seine zur Faust geballte Hand mit den Nüssen wieder aus dem Loch herauszubekommen. Die Buschmänner kommen näher. Der Affe verkrampft sich immer mehr, bekommt seine Hand aber nicht aus dem Loch, da er die Nüsse nicht loslässt. Er müsste nur die Nüsse fallenlassen, seine Hand entspannen und sie wieder aus dem Loch ziehen. Da er aber in seiner Angst nicht loslassen kann, kommt er nicht frei und wird gefangen.

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Frau Krämer schleppte sich weiter mühsam zur Arbeit. Ihre knappe Freizeit, die sie doch so dringend für die nicht mehr gelingen wollende Erholung benötigte, verbrachte sie meist in den Wartezimmern von Ärzten und Heilpraktikern. Ein zellulärer Immunstatus ergab ein Ungleichgewicht bestimmter T-Zell-Fraktionen, was für eine chronische Aktivierung des Immunsystems sprach. Eine Irisdiagnostik ergab eine Leberbelastung. Kinesiologie, Elektroakupunktur nach Voll, Dunkelfelddiagnostik und vieles mehr lernte sie im Laufe ihrer „Karriere“ ebenfalls kennen. Und jedes Verfahren ergab auch einen speziellen, pathologischen Befund. Doch Frau Krämers Hoffnungen, dass damit die einzige, die wahre Ursache ihrer Beschwerden gefunden wurde, schwanden immer mehr, da die aufgrund der jeweiligen Diagnose eingeleitete Therapie sich stets als frustran erwies.

Zu ihrer Enttäuschung über die ausbleibenden Erfolge der teilweise sehr aufwändigen und kostspieligen Therapien gesellte sich ein tiefes Misstrauen. Sie traute bald weder den Therapeuten, noch ihren eigenen Selbstheilungskräften. Jeder eingeschlagene Weg erwies sich als Holzweg. Doch anstatt innezuhalten und vielleicht auch einmal gar nichts zu tun, beschritt sie immer mehr und immer schneller neue und stets andere Wege, die sich jedoch sämtlich als Sackgassen erwiesen.

Wo lag der grundlegende Fehler? Was hatten die Therapeuten, was hatte vor allem sie selbst falsch gemacht? Woran litt sie überhaupt? Die Krankheit ist als Chronic Fatigue Symptom (synonym: chronisches Müdigkeitssyndrom oder chronisches Erschöpfungssyndrom, Abkürzung: CFS oder CMS) bekannt. Es deckt sich in der Symptomatik zwar teilweise mit dem Burn out-Syndrom, ist aber etwas ganz anderes. Das CFS tritt bevorzugt nach einem banalen Infekt auf. Warum die meisten Menschen sich von diesem Infekt rasch wieder völlig, andere aber gar nicht erholen, ist bis heute nicht bekannt. Die Schulmedizin kennt keine kausale Therapie dagegen. Die Naturheilkunde hat in ihren Subspezialitäten zwar zahlreiche Ansätze, kann aber nicht behaupten, dass es die eine Methode gibt, mit der zuverlässig und reproduzierbar Heilungen zu erzielen sind. Bei Erkrankungen, für die es keine anerkannte und belegbare Standardtherapie gibt, sollte man sich indes ganz besonders vor charismatischen Heilern hüten, die vorgeben, den Stein der Weisen gefunden zu haben und unhaltbare Heilungsversprechen abgeben.

Persönlich habe ich bei CFS häufig Mangelzustände an verschiedenen Vitaminen und Mineralstoffen sowie dem wichtigen Hormon DHEA gefunden. Mit einer Substitution dieser Stoffe und einem Ausgleich der Defizite sowie einer immunmodulierenden Therapie des fehlgesteuerten Immunsystems mit pflanzlichen, mikrobiologischen und/oder homöopathischen Mitteln meine ich beobachtet zu haben, dass hierunter eine raschere Rekonvaleszenz gelingen kann (ich drücke mich bewusst so zurückhaltend aus).

Es geht mir in diesem Beitrag aber immer nicht darum, ein neues allein selig machendes Therapiekonzept für das CFS zu propagieren. Ich möchte das CFS vielmehr exemplarisch für andere „ungeklärte“ Krankheiten (z.B. Funktionelle Herz-, Magen-, Blasenstörungen, Somatoforme Störungen, Fibromyalgie, Tinnitus oder Reizdarmsyndrom) anführen und aufzeigen, in welche Fallen der leidende Patient dabei tappen kann.

Komplexe Erkrankungen gehören auch komplex behandelt. Das bedeutet, es gibt selten eine „Wundertherapie“ dagegen. Vielmehr sollten sinnvolle Therapien in ein ganzheitliches Behandlungskonzept eingebunden werden. Die wichtigste Therapie scheint dabei der adäquate Umgang mit sich selbst, seinen eigenen Bedürfnissen und den Anforderungen durch die Umwelt zu sein. Menschen, die ein CFS ereilt, sind nicht selten perfektionistisch, haben gern alles unter Kontrolle und sich selbst vor Ausbruch der Erkrankung ausgepowert. Scheinbar hat ihnen der Infekt dann nur den Rest gegeben. Anstatt sich die benötigte und vom Körper geforderte Ruhepause zu gönnen, behalten diese Patienten stur ihre bisherige Strategie bei. Wenn ich mit 100% noch nicht genug erreicht habe, dann muss ich es doch mit 150% schaffen, lautet ihr Credo. Dass es nicht besser ist, mit 150 km/h als mit 100 km/h gegen eine Wand zu fahren, ist ihnen kaum begreiflich zu machen.

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Bleiben wir beim Auto. Im Winter sind die Straßen mitunter glatt. Was tun Sie, wenn Sie mit Ihrem Auto unterwegs sind und die Reifen auf einer eisglatten Straße durchdrehen? Geben Sie Gas oder lassen Sie den Fuß vom Gas? Jeder Autofahrer weiß, dass es hier nur eine richtige Antwort gibt. Wenn wir bei durchdrehenden Reifen wieder vorwärts kommen wollen, dann müssen wir nicht mehr, sondern weniger Energie einsetzen – auch wenn es auf den ersten Blick unlogisch erscheint. Die Erfahrung gibt uns recht: Wenn wir den Fuß vom Gas nehmen, dann drehen sich die Räder langsamer und bekommen irgendwann wieder Griff auf dem glatten Untergrund. Wenn wir mehr Gas geben, dann drehen die Reifen umso stärker durch, je mehr Energie wir geben. Was uns beim Autofahren auf glatter Straße so einleuchtend ist, weil wir es aus Erfahrung kennen, können wir im Leben nicht immer umsetzen. Warum können Sie nicht auch im wahren Leben einmal den Fuß vom Gas nehmen, wenn Sie nicht vorwärts kommen, je mehr Gas Sie geben?

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Damit wir uns nicht falsch verstehen: es gibt Situationen, da müssen wir das Maximum an Diagnostik und Therapie einfordern, z. B. in akuten Notfallsituationen, bei belastungsabhängigen Herzbeschwerden oder blutigen Stühlen, weil hier das Maximum meist das Optimum darstellt. Oft ist das Optimale aber eben nicht das Maximum. Dann sind moderat eingesetzte Verfahren der richtige Schlüssel zur Heilung. Und manchmal kann es auch das Richtige sein, nichts zu tun. Dem „ut aliquit fiat“ („damit irgendetwas gemacht werde“) betriebsamer Ärzte und fordernder Patienten ist mitunter ein gelassenes Zuwarten entgegen zu setzen.

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Erfreulicherweise wird der Grundsatz des „Abwarten und Teetrinken“ oder auf neudeutsch „watchful waiting“ auch in der Schulmedizin immer öfter praktiziert – was nicht ganz einfach ist, da eine solche Strategie kommerziellen Interessen im Gesundheitswesen zuwider läuft. Unter dem Motto „klug entscheiden“ hat sich eine Initiative innerhalb der Ärzteschaft gebildet, die Empfehlungen gibt, was besser nicht getan werden sollte, z.B.:

Bei nichtspezifischem Kreuzschmerz unter sechs Wochen ohne „Red Flags“ soll eine Bildgebung nicht erfolgen.

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Unter „Red Flags“ versteht man Warnhinweise auf eine spezifische vertebragene Ursache mit oft dringendem Handlungsbedarf, so zum Beispiel anamnestische oder klinische Hinweise auf eine Fraktur, einen Tumor, eine Infektion oder eine Radikulopathie/Neuropathie.

Die asymptomatische Cholezystolithiasis (Gallenstein) soll in der Regel nicht operativ behandelt werden.
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Weder umfangreiche klinische Beobachtungen noch detaillierte Analysen prospektiver Studien zum klinischen Verlauf der asymptomatischen Cholezystolithiasis belegen den Nutzen der Cholezystektomie bei asymptomatischen Steinträgern.

Bei Patienten mit Vorhofflimmern und dennoch nur geringem Schlaganfall-Risiko (CHA2DS2- VASc-Score = 0) soll eine Blutverdünnung nicht durchgeführt werden.

60 % der Patienten mit einem CHA2DS2-VASc-Score von 0 und damit niedrigem Schlaganfallrisiko werden oral antikoaguliert und damit einem unnötigen Risiko schwerer Blutungen von 3–5 % pro Jahr ausgesetzt.

Nähere Infos und weitere Tipps zum „Nichtstun“ unter https://www.klug-entscheiden.com/

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Ist es nicht frustrierend, wenn man immer mehr von dem macht, was nicht funktioniert, und wundert sich dann, dass dies erst recht nicht funktioniert? Wenn sich das Hamsterrad aus diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen bei vielen Patienten immer schneller dreht, so sollten diese eher weniger tun (in Betrieb, Familie, Partei, Verein – und in Klinik und Praxis), für eine gesunde Ernährung sorgen, sich moderat (!) bewegen und Entspannungsverfahren praktizieren. Ggf. können auch psychotherapeutische Verfahren sinnvoll sein, wobei hier eher verhaltenstherapeutische den gesprächspsychotherapeutischen oder gar psychoanalytischen Verfahren vorzuziehen sind. Analysieren, Ursachen suchen, alles kritisch hinterfragen – das ist das, was solche Menschen bereits gut (viel zu gut?) beherrschen. Ein Erspüren, ein Erleben, ein Erfahren, was ihnen gut tut und wo ihre Ressourcen sind – das wäre bei solchen Störungen viel hilfreicher.

Damit kann man lange Odysseen durch den Heiler-Dschungel vermeiden helfen. Auch einer ärztlich initiierten, maßlosen Überdiagnostik ist eine strikte Absage zu erteilen. Der blinde Aktionismus übereifriger Diagnostiker, die aus forensischen oder pekuniären Gründen ohne Sinn und Verstand drauflos diagnostizieren und therapieren, geht oft eine unheilvolle Allianz mit dem Ursachendrang verunsicherter Patienten einher, die lieber etwas Falsches als gar nichts zu tun bereit sind. Wenn nichts nachweislich sicher hilft, warum geben wir dann nicht den Selbstheilungskräften des Organismus eine Chance? Oder um es mit den Worten von Voltaire auszudrücken:
„Die Kunst der Medizin besteht darin, den Kranken solange bei Stimmung zu halten, bis die Natur die Krankheit geheilt hat.“

10 Leitsätze bei oben genannten (aber eigentlich bei allen) Krankheiten:

  • Weniger ist manchmal mehr
  • So wenig Diagnostik und Therapie wie möglich, so viel wie nötig.
  • Das Gute, soviel steht fest, ist stets das Schlechte, das man lässt (frei nach Wilhelm Busch).
  • „Patient“ kommt aus dem Lateinischen und bedeutet: der Geduldige (dies wissen leider wenige Patienten – und auch zu wenige Therapeuten).
  • Den eigenen Selbstheilungskräften vertrauen.
  • Das anerkennen, was man kann, nicht das überbewerten, was man (noch) nicht kann.
  • Sich nicht nur mit der eigenen Krankheit beschäftigen.
  • Trotz (oder sogar wegen) der Krankheit: Fröhlich sein.
  • Schönes (z. B. ein Bild, ein Buch, ein gutes Essen) genießen – gerade jetzt.
  • Nicht wahr, das kannten Sie bisher anders: Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser!

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Die Äußerungen zu den Krankheiten bezüglich Gehenlassen und Loslassen gelten natürlich auch für den „Gesunden“. Auch hier kann es sehr sinnvoll sein, mal einen Gang zurückzuschalten (gerade wenn es nicht mehr vorwärts geht) oder von etwas Abschied zu nehmen, wenn wir es nicht mehr ändern können (siehe „Gott gebe mir…“) – dann können wir leichter unseren Frieden mit uns selbst und anderen Menschen finden. Wenn wir nichts ändern können, dann sollten wir auch schlechte Gefühle (z. B. Trauer, Zorn) loslassen. Geld, das wir verloren haben, sollten wir keine Träne nachweinen, und einen Partner, den wir nicht halten können, sollten wir gehen lassen. Wenn wir „loslassen“, dann befreien wir uns in Wirklichkeit von etwas, was uns „gefesselt“ hat. Diese Befreiung bemerken wir zwar nicht immer sofort, aber nach einiger Zeit wird sich dies auf unser Wohlbefinden merklich auswirken.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen alles Gute für Ihre Gesundheit und Ihren Seelenfrieden

Dr. Volker Schmiedel

Gelassenheit ist erlernbar und muss trainiert werden wie Sport

Studie des Monats

Helfen Omega-3-Fettsäuren noch, wenn ein Patient mit KHK schon auf Statin, ASS und Clopidogrel eingestellt ist?

In letzter Zeit werde ich immer wieder von Patienten und Kollegen damit konfrontiert, Omega-3 würde bei einer koronaren Herzkrankheit ja doch nichts bringen. Jetzt sei wieder eine Studie oder Meta-Analyse erschienen, die die Nutzlosigkeit einer solchen Therapie bewiesen habe. Da kann ich nur raten: Schaut es Euch genau an! In letzter Zeit wird da gern eine aktuelle Meta-Analyse zitiert. Vielleicht werde ich die auch noch später einmal hier ausführlich würdigen. Nur so viel vorweg: In den Studien wurde mit nur etwa einem Gramm Omega-3 eine viel zu geringe Dosis eingesetzt. Die drei Studien mit deutlich höheren Dosen verliefen ausnahmslos zugunsten von Omega-3, gingen aber im Meer der schlechten Studien einfach unter.

Aber heute möchte ich etwas Positives berichten. In der im renommierten Journal of Cardiology im Dezember 2017 erschienenen Studie bekamen 193 Patienten nach einer Aufdehnung der verengten Herzkranzgefäße alle ein hoch dosiertes Statin sowie als Gerinnungshemmer ASS und Clopidogrel. Der Nutzen einer Statin-Therapie bei einer solchen Hoch-Risikogruppe gilt als belegt (für natürliche Statine aus Rotem Reis ist der Nutzen mittlerweile auch belegt, aber das ist heute nicht das Thema). Bringt es dann noch einen zusätzlichen Gewinn, wenn ein bereits leitliniengerecht optimal behandelter Patient zusätzlich auch noch Omega-3-Fettsäuren einnimmt? In dieser Studie bekamen die Patienten neben ihrem Statin noch 1800 mg EPA (maritime Fettsäure) oder Placebo. Mittels intravaskulärem Ultraschall wurde das Volumen von Plaques/Gefäßverengungen zu Beginn und nach 6-8 Monaten vermessen. Das Total Atherom Volumen (TAV) nahm in der Statingruppe (PTV) nur leicht, in der Statin/EPA-Gruppe (PTV/EPA) hingegen massiv ab (s. Abb. 1).

Abb. 1: Reduktion des Atheromvolumens unter Statin bzw. Statin/EPA

Des Weiteren haben die Forscher das Verhältnis der „guten“ Omega-3-Fettsäure EPA aus Fischen im Verhältnis zur „schlechten“ Omega-6-Fettsäure AA aus Tieren mit der Veränderung des Atheromvolumens verglichen (s. Abb. 2, links). Je höher das Verhältnis lag, also je mehr EPA im Verhältnis zu AA vorlag, desto kleiner wurde das Atherom, teilweise halbierte sich das Volumen innerhalb eines halben Jahres. Der Korrelationskoeffizient ist mit -0,277 nicht gerade berauschend hoch, aber das Ganze ist statistisch hoch signifikant (Irrtumswahrscheinlichkeit nur 0,6 %). Dasselbe wurde auch für das „böse“ LDL-Cholesterin gemessen. Hier würde man doch erwarten, dass das Atherom umso kleiner wird, je niedriger das LDL ist. Doch hier gab es überhaupt keinen Zusammenhang (s. Abb. 2, rechts). Das Volumen des Atheroms hatte nichts dem LDL-Spiegel zu tun!

Erfreulicherweise wurden in dieser Studie eben hohe Dosen eingesetzt. 1,8 g EPA entsprechen deutlich mehr als einem Esslöffel Fischöl. Optimal würde man handeln, wenn man die Fettsäurewerte misst und den Patienten individuell so einstellt, dass er einen AA/EPA-Quotienten unter 2,5 bzw. einen Omega-3-Index über 8 % aufweist. Nach dieser Studie dürfte KHK-Patienten eine Therapie mit Omega-3-Fettsäuren nicht mehr vorenthalten werden. Ich fürchte aber, es werden noch viele Jahre vergehen, bis sich diese für das Wohl der Patienten wichtige Erkenntnisse in den entsprechenden Leitlinien und dann auch einmal in der praktischen Therapie niederschlagen. Aber jedem Patienten ist es ja freigestellt, selbst zusätzlich zu den kardiologische Medikamenten etwas für sich zu tun. Das Studienzitat sowie einen Link auf die Originalarbeit (1) finden Sie ganz am Ende des Newsletters.

Abb. 2: Viel EPA/AA führt zu Atheromreduktion, das LDL hat keinen Einfluss darauf

 

aufgeschnappt und kommentiert – aufgeschnappt und kommentiert

Gelassenheit ist erlernbar

Dr. med. Quintus Querulantius merkt hierzu an: Gut, ich rege mich hier ja manchmal gehörig auf, wenn ich mal wieder über Missstände in der Medizin berichte. Das findet aber auf einer rationalen Ebene statt, ich hoffe, dass es mich nicht zu sehr emotional berührt. Über manche Sachen will ich mich aber auch mal aufregen und meinen Ärger mit anderen teilen!

In vielen Fällen nutzt es aber gar nichts. Und man kann sogar ganz gut damit umgehen, wenn man sich Mühe gibt. Vor wenigen Tagen bin ich zu einem Kongress auf die schöne ägäische Insel Kos geflogen. Auf Kos liegt die Wiege unserer europäischen Heilkunde. Sowohl die Schulmedizin als auch die Naturheilkunde sehen Hippokrates, des vor 2500 Jahren in einem Heiltempel, dem Asklepion, gewirkt hat, als ihren Stammvater an.

Leider bekam ich keinen Direktflug, sondern musste in Athen umsteigen. Der Reiseveranstalter hat aber Flüge mit einer sehr kurzen Umsteigzeit gewählt. Im Flieger erfuhr ich dann, dass die Koffer nicht nach Kos durchgecheckt werden, sondern dass ich ihn selbst an der Gepäckausgabe abholen und wieder aufgeben muss. Oh, dachte ich mir, das wird aber zeitlich etwas knapp. Als der Flieger dann auch noch ein paar Minuten Verspätung hatte, wurde mir klar, dass ich keine Chance haben würde, gemeinsam mit meinem Koffer nach Kos zu fliegen. Wir setzten exakt in der Minute auf dem Flughafen von Athen auf, als das Boarding für meinen Weiterflug begann.

Am Transferdesk bat ich um Rat, was ich denn tun solle. Immerhin wurde ich vor eine Alternative gestellt. Na schön, es gibt immer mehrere Möglichkeiten: Entweder fliege ich gleich ohne Koffer nach Kos weiter (auch das würde noch knapp werden, da ich erst noch zum Gate musste) oder ich hole meinen Koffer, gehe zum Flugschalter und schaue, dass ich für den nächsten Flug einchecke (wobei aber nicht sicher war, ob ich da einen Platz bekommen würde). Also entschied ich mich nolens volens für die erste Alternative.

Auf Kos angekommen sollte ich mich sofort an den Lost and found-Schalter begeben, da von dort alles weitergeleitet werden würde. Eine attraktive und sehr nette Griechin nahm sich meiner an, schrieb meine Daten auf und versicherte mir, der Koffer würde mit einem der nächsten Flüge ankommen und dann sogar kostenlos ins Hotel gebracht werden. Nur wann, das könne sie natürlich nicht sagen. Nun bin ich zwar nicht des Griechischen mächtig, aber dass „Siga, siga!“ auf Deutsch „Langsam, langsam!“ heißt und nicht nur zur Geduld mahnt, sondern neben Olivenöl und Rotwein wohl auch für die niedrige KHK-Rate in Griechenland mitverantwortlich ist, war mir wohl bewusst.

Leckeres griechisches Essen – schmackhaft, gesund und beruhigend

Erstaunlicherweise regte mich das alles überhaupt nicht auf, was mir vor zehn Jahren wohl nicht so gegangen wäre. Was war schon passiert? Gut ich hatte meinen Koffer nicht, musste mich in meiner Reisekleidung ins Bett legen und konnte mich am nächsten Morgen nicht rasieren (der Koffer war natürlich nicht mehr am Abend gekommen). Die Meeresluft war aber angenehm mediterran frisch, das griechische Essen im Restaurant schmeckte vorzüglich und beim abendlichen Ouzo-Empfang hatte ich immerhin etwas zu erzählen, was sowohl für Heiterkeit und als auch für Mitleid bei meinen Zuhörern sorgte. Was will ich mehr?

Ok, ein bisschen dumm war es, dass ich am nächsten Nachmittag einen wichtigen Workshop vor 80 Ärzten und Apothekern leiten sollte. Aber in der Not bekommt man immer Hilfe. Eine Teilnehmerin bot mit ein frisches Kleid von sich an, damit ich nicht im verschwitzten T-Shirt referieren müsse. Das wäre doch mal was anderes. Männliche Kollegen boten mir auch frische Hemden oder T-Shirts an. Doch all das bedurfte es gar nicht, denn am Mittag stand wie von Zauberhand mein Koffer in meinem Hotelzimmer. Und so schließe ich mein Reiseerlebnis denn noch mit einem kölschen Zitat: „Et is noch immer alles jot jejange!“

Viel Gelassenheit und Humor auch in nicht so angenehmen Situationen wünscht Ihnen

Ihr Dr. med. Quintus Querulantius

aufgeschnappt und kommentiert – aufgeschnappt und kommentiert

Literaturliste – für alle, die wissenschaftlich tiefer bohren und die wissenschaftlichen Quellen erkunden möchten, unter http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed können Sie die Abstracts (in Englisch) nachlesen und manchmal auch Links zu den Originalarbeiten finden:

(1) Watanabe T, Ando K, Daidoji H, Otaki Y, Sugawara S, Matsui M, Ikeno E, Hirono O, Miyawaki H, Yashiro Y, Nishiyama S, Arimoto T, Takahashi H, Shishido T, Miyashita T, Miyamoto T, Kubota I; CHERRY study investigators: A randomized controlled trial of eicosapentaenoic acid in patients with coronary heart disease on statins. J Cardiol. 2017 Dec; 70(6):537-544. doi: 10.1016/j.jjcc.2017.07.007. Epub 2017 Aug 31.