Zitat des Monats
„Absence of evidence is not evidence of absence.“
Carl Edward Sagan
(1934-1996)
Amerikanischer Astronom, Astrophysiker und Sachbuchautor
Dieses Zitat sei all denjenigen unter die Nase gerieben, die die Ergebnisse einer negativen Studie überinterpretieren wollen. Wenn etwa jemand aus der negativ verlaufenen Do-Health-Studie ableiten will, dass Vitamin D, Omega-3 oder körperliche Bewegung nichts brächten, dann hat er dieses Zitat nicht berücksichtigt und beweist gleichzeitig seine eigene Unwissenschaftlichkeit. Ein negatives Studienergebnis bedeutet, das es für die angegebenen Studienbedingungen negativ war – nicht mehr und nicht weniger.
Do-Health
– warum eine gut gemeinte Studie zum Flop wird
Vor kurzem erschien die Do-Health-Studie, die den Einfluss von Vitamin D, Omega-3 und Bewegung auf den Blutdruck und das Immunsystem von Senioren erforschte. Vom Design her erscheint sie unglaublich gut konzipiert. Trotzdem floppte sie (nicht ganz, aber weitgehend), was positive Ergebnisse der untersuchten Maßnahmen angeht.
Bringen Vitamin D, Omega-3 oder Bewegung dem älteren Mitbürger nun gar nichts und er sollte darauf verzichten – oder war das Design vielleicht doch nicht so gut gewählt? Es ist wieder mal komplex, aber wegen der großen Bedeutung der drei Faktoren und den Konsequenzen der Ergebnisse der Studie möchte ich hier die wichtigsten Ergebnisse und meinen Kommentar dazu beisteuern.
JAMA. 2020 Nov 10;324(18):1855-1868.
doi: 10.1001/jama.2020.16909.
Effect of Vitamin D Supplementation, Omega-3 Fatty Acid Supplementation, or a Strength-Training Exercise Program on Clinical Outcomes in Older Adults: The DO-HEALTH Randomized Clinical Trial
Heike A Bischoff-Ferrari 1 2 3, Bruno Vellas 4 5, René Rizzoli 6, Reto W Kressig 7, José A P da Silva 8 9, Michael Blauth 10, David T Felson 11 12, Eugene V McCloskey 13 14, Bernhard Watzl 15, Lorenz C Hofbauer 16 17, Dieter Felsenberg 18, Walter C Willett 19 20, Bess Dawson-Hughes 21, JoAnn E Manson 22, Uwe Siebert 23 24 25, Robert Theiler 2, Hannes B Staehelin 26, Caroline de Godoi Rezende Costa Molino 1, Patricia O Chocano-Bedoya 1, Lauren A Abderhalden 1, Andreas Egli 1, John A Kanis 27 28, Endel J Orav 29, DO-HEALTH Research Group
2157 Senioren im Alter von 70 Jahren oder älter wurden in eine achtarmige randomisierte Studie eingeschlossen. Es waren gesunde Menschen, die in den letzten 5 Jahren kein größeres Krankheitsereignis gehabt haben sollten. Sie sollten darüber hinaus körperlich mobil und kognitiv nicht beeinträchtigt sein. Die Studie startete 2012-2014, sollte 3 Jahre für die Teilnehmer dauern und endete 2017.
Die Teilnehmer erhielten entweder
- Vitamin D 2000 IE tgl. oder Placebo
- Omega-3 1 g tgl. oder Placebo
- Ein Bewegungsprogramm oder nicht (Placebo ist hier schlecht möglich)
Alle Kombinationen waren möglich, so dass z.B. eine Gruppe alle Maßnahmen, eine aber gar keine und eine etwa Vitamin D, kein Omega-3, aber Bewegung erhielt. Die Gruppengrößen lagen alle zwischen 264 und 275, waren also ziemlich gleich verteilt.
Endpunkte waren Blutdruck, Infekt-Rate, Knochenbrüche und die Ergebnisse weitere körperlicher und mentaler Teste.
Ergebnisse: Für keine der drei Maßnahmen, gab es bezüglich einem der Endpunkte nach 3 Jahren eine statistisch signifikante Überlegenheit. Man muss allerdings dazu anmerken, dass die Autoren als Signifikanzkriterium eine Irrtumswahrscheinlichkeit von p<0,01 forderten, üblich ist bei den allermeisten Studien nur 0,05.
Immerhin traten in den Omega-3-Gruppen 11 % weniger Infekte auf. Dies geschah auf einem Signifikanz-Niveau von 0,02, was die Kriterien der meisten Studien, aber nicht die von Do-Health erfüllte.
Die Autoren ziehen den Schluss, dass sie mit ihrem Behandlungsprogramm keine signifikanten Effekte bezüglich der Endpunkte gefunden haben.
Meine persönliche Analyse und Kritik an Do-Health:
Es waren über 2000 Senioren in die Studie eingeschlossen. Einschränkend ist hierzu anzumerken, dass es sich um eine starke Selektion von Senioren handelte:
- In den letzten 5 Jahren kein größeres Gesundheitsereignis wie Krebs oder Herzinfarkt.
- Körperlich mobil.
- Geistig nicht eingeschränkt.
Es ist schon erstaunlich, dass sie problemlos über 2000 solcher Menschen gefunden haben. Das ist ja eher die Aufnahme, denn die Regel unter den älteren Menschen. Gesunde Senioren erkranken aber weniger häufig als bereits eingeschränkte. Wenn ich eine zusätzlichen Gesundheitsfaktor einbringe, ist dessen Effekt bei Gesunden schwerer nachzuweisen als bei Kranken oder Risikopersonen. Das bedeutet aber auch, dass die Forschungsergebnisse auf kranke Ältere – das dürfte die überwiegende Mehrheit sein – gar nicht übertragbar sind!
Die Studie startete in 2012. Da wussten wir noch nicht so viel über Vitamin D und Omega-3. Die Dosierungsempfehlungen bezüglich Vitamin D und Omega-3 entsprachen durchaus dem damaligen Kenntnisstand. Heute wissen wir aus mehreren anderen negativ verlaufenen Studien, dass diese Dosen viel zu niedrig gewählt sind. Besonders beim Omega-3 sollten heute Studien unter 2 g EPA/DHA, besser 4 g gar nicht mehr stattfinden. Optimal wäre die Berücksichtigung des Omega-3-Index im Blut, wobei ein Zielwert von 8-12 % angestrebt werden sollte. All das konnte von den Autoren von Do-Health noch gar nicht berücksichtigt werden.
Hier noch weitere Punkte:
- Man hat ziemlich fitte, ältere Menschen untersucht. So betrug die Knochenbruchrate 3,5x weniger als man eigentlich erwartet hätte. Wenn ich schon körperlich aktive, motivierte, gesund ernährte Ältere untersuche, sehe ich natürlich weniger Effekte, als wenn ich eine Gruppe mit hohem Gesundheitsrisiko untersuche (s.o.).
- Man hat nur 2000 IE Vitamin D eingesetzt. Das halte ich für zu wenig.
- Der Durchschnitt in der Vitamin D-Gruppe am Ende der Therapie lag immer noch unter 40 ng/ml, “meinem optimalen Mindestwert”. Man ist also selbst mit den 2000 IE nicht in einen von vielen Vitamin D-Protagonisten als optimal geforderten Bereich hineingekommen.
- In der “Placebo-Gruppe” durften 800 IE Vitamin D zusätzlich genommen werden. Es gab also beim Vitamin D 4 verschiedene Gruppen: 0, 800, 2000 und 2800 IE. Das führt natürlich zu Verwässerungseffekten. Zwischen 800 (Placebo-Probanden, die 800 IE einnahmen) und 2000 IE (Verum-Probanden, die kein Vitamin D einnahmen) ist dann kaum mehr ein Unterschied festzustellen.
- Die Senioren waren schon recht aktiv. Die Sportgruppe sollte 3×1/2h leichtes Training pro Woche machen (das haben die meisten vermutlich auch schon vorher getan). Dauer und Intensität des Trainings durften nicht gesteigert werden. Wie will ich da Effekte einer Bewegungstherapie sehen? Ich kann mir kaum vorstellen, dass das mit in der praktischen Trainingslehre Erfahrenen abgesprochen wurde.
- Die Vitamin D-Gruppe bekamen nur 1 g Omega-3. Viel zu wenig, wie wir heute wissen.
- Sie haben sich auch noch für ein Algenöl entschieden, weil sie nur Fischöl-Kapseln gefunden hatten, auf die man fischig aufstößt. Auch das ist heute anders. Es gibt sehr wohl gute Omega-3-Präparate aus Fischöl mit einer hervorragenden Qualität.
- Es war doppelt so viel DHA wie EPA in der Kapsel. EPA wirkt aber besser gegen Entzündungen und auf den Blutdruck.
- In einer Kapsel war 1 g Omega-3. Das geht aber nur, wenn das Öl aufkonzentriert ist. Es handelte sich also nicht mehr um ein natürliches Öl. Viele Fettsäuren, von denen vielleicht einige auch positive Effekte haben, wurden einfach rausgefiltert. Siehe auch mein Video hierzu: https://youtu.be/Mg5s1Dno6R4
- Es wurde nicht angegeben, ob es sich um Triglyceride oder um ein Ester handelt. Ich weiß es nicht, nehme aber an, das letzteres zutrifft. Von Estern wissen wir aber, dass sie viel schlechter resorbiert werden und auf den Blutdruck praktisch keinen Effekt haben.
- Wie in vielen Studien vorher auch, haben die Autoren leider das falsche Öl mit einer qualitativ schlechten Zubereitung und in einer viel zu geringen Dosierung genommen. Das Erstaunliche ist nicht, dass da wenig bei rausgekommen ist, sondern dass trotzdem noch Effekte von Omega-3 gefunden wurden!
Die Do-Health-Studie sagt nicht aus, dass Vitamin D, Omega-3 und/oder Bewegung bei Älteren nicht nutzen, sie sagt nur, dass bei sehr, sehr fitten Senioren die gewählten Dosierungen nicht oder kaum (kleiner Effekt von Omega-3 auf Infekte) wirken. Bezüglich Bewegung gibt es viele andere Studien, die ganz klare Effekte zeigen. Wenn ich aber ein Bewegungsprogramm wähle, welches praktisch keine zusätzliche Anforderung darstellt, weil die Probanden das vermutlich schon weitgehend durchführen, kann ich natürlich auch keine Effekte finden.
Leider sind solche komplexen und differenzierten kritischen Darstellungen von den Medien nicht gewünscht. Die wollen nur wissen: Wirkt es oder wirkt es nicht? Leider wurde mit dieser gut gemeinten Studie dem Vitamin D und dem Omega-3 wieder mal ein Bärendienst erwiesen.
Viele Kritiker raten aufgrund dieser Studie von Vitamin D und Omega-3 ab. Empfehlen diese jetzt etwa auch, sich nicht mehr körperlich zu bewegen? Die Studie hat hier ja überhaupt keinen Nutzen gezeigt! Wenn sie aber von Vitamin D und Omega-3 abraten, von Bewegung aber nicht, dann muss sie auch fragen, warum sie das bei Vitamin D/Omega-3 so und bei der Bewegung ganz anders sehen. Wenn sie dann sagen, ja, für Bewegung gebe es doch viele andere positive Studien, die den Nutzen klar belegen, dann haben wir doch die Antwort: Genau, weil die Studie bezüglich Bewegung schlecht angelegt war und kein gutes Ergebnis zeigte, raten wir weiter zur Bewegung. Und genau dasselbe gilt eben für Vitamin D und Omega-3 auch!
Frau Bischoff-Ferrari, die Erstautorin der Studie, sieht es etwas differenzierter. Sie hat auf einem Webinar der Burgerstein Foundation im Januar 2021 gesagt, dass Omega-3 wohl tatsächlich zu gering dosiert war. Als die Studie geplant wurde, haben die kardiologischen Leitlinien 1 g empfohlen, von denen wir heute wissen, dass es viel zu wenig ist. Sie würde heute wohl mehr nehmen. Beim Vitamin D gibt es bei Älteren die allgemeine Empfehlung von 800 IE. Das wollten die Studienleiter den Probanden nicht wegnehmen. Ethisch zwar lobenswert, wissenschaftlich aber nachteilig. So haben wir also 4 Gruppen: 0, 800, 2000 und 2800 IE. Die Autoren wollen noch Subgruppen-Analysen machen. Vielleicht findet man da doch noch Unterschiede.
Diese Studie besagt nicht,
- Dass Vitamin D, Omega-3 oder Bewegung in anderen Dosierungen auch nicht wirkt.
- Dass Vitamin D, Omega-3 oder Bewegung bei anderen Populationen (z.B. ältere Durchschnittsbevölkerung mit einem viel höheren Krankheitsrisiko) nicht wirkt.
- Dass ein nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ besseres Präparat (nicht aufkonzentriert, sondern natürliches Öl, nicht DHA-, sondern EPA-lastig) nicht auch wirkt.
Ist jetzt nachvollziehbar, warum Do-Health nicht so funktioniert hat wie erhofft? Alle, die sich mit Nährstoffen intensiv befassen, verstehen das. Die meisten in der Normalbevölkerung verstehen es nicht. Die meisten Journalisten verstehen das erst recht nicht. Und die meisten Hausärzte und so genannten “Experten” wollen das gar nicht verstehen.
Also nicht beirren lassen. Sapere aude! (Wage es, selbst zu denken)
Studien des Monats
Blood omega-3 fatty acids and death from COVID-19: A pilot study
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/ Arash Asher, Nathan L. Tintle, Michael Myers, Laura Lockshon et al. Published online 2021 Jan 20. doi: 10.1016/j.plefa.2021.
Genau dieser Frage haben sich sechs Wissenschaftler (u.a. von der Stanford Medical School und vom Cedars-Sinai Center, Los Angeles) gewidmet. Sie wollten wissen, inwieweit eine gute Versorgung mit Omega-3 Einfluss auf das Überleben von Covid-19-Patienten hat. Sie haben bei 100 Patienten, die wegen Covid-19 stationär behandelt wurden, den Omega-3-Index (Summe aus EPA und DHA im Vergleich zu allen Fettsäuren) gemessen. Die Patienten wurden dann je nach Omega-3-Index in Quartile (Viertel) eingeteilt. Von den 100 hospitalisierten Patienten starben insgesamt 14, davon einer in der Gruppe mit dem höchsten Omega-3-Index und 13 in den anderen 3 Gruppen. Da Alter und Geschlecht Risikofaktoren für die Prognose von Covid-19 darstellen, wurde dies bei der Risiko-Berechnung statistisch berücksichtigt. Vergleicht man dann das Sterberisiko, so liegt dieses im Quartil mit dem höchsten Spiegel bei 0,25 oder anders ausgedrückt um 75 % niedriger. Die Patienten standen nicht unter einer Omega-3-Therapie, der unterschiedliche Omega-3-Index spiegelte nur die Nahrungsunterschiede wider. Die Patienten mit den besten Werten aßen wohl mehr Fisch und/oder verzehrten weniger andere tierische Produkte. Dies führte bereits zu ¾ weniger Toten! Es ist zwar spekulativ, aber mit einer adäquaten Omega-3-Versorgung (z.B. 2 g EPA/DHA aus Fischen/Algen in Form von Öl/Kapseln) könnte vermutlich eine noch deutlichere Senkung des Risikos erzielt werden, aber dies muss Gegenstand weiterer interventioneller Studien sein, so wie es auch die Autoren fordern. Niemand begeht aber einen Fehler, sich jetzt schon optimal mit Omega-3 zu versorgen. Herzliche Grüße und alles Gute für Ihr Immunsystem, Dr. Volker Schmiedel |
Buchtipp des Monats
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Passend zur heutigen Studie des Monats: In diesem Patientenratgeber steht alles, was der Laie oder der mit Omega-3-Diagnostik und -Therapie beginnende Therapeut wissen muss. Einfach und verständlich geschrieben wird es trotzdem einer komplexen Thematik gerecht und beschreibt neben den Grundlagen der Fettsäuren die Krankheiten, bei denen wir Omega-3 präventiv oder therapeutisch einsetzen können, wie wir mit Nahrung und/oder Supplementen eine optimale Versorgung erreichen können. Viel Erfolg beim Lesen!
aufgeschnappt und kommentiert |
„Es gibt eine neue Corona-Verschwörung!“ Dr. med. Quintus Querulantius merkt hierzu an: Wir alle kennen sie ja: Die Verschwörung der Corona-Leugner! Es gebe gar keine Corona-Pandemie. Ja, es gebe noch nicht einmal das Corona-Virus. Mal ehrlich, kennen Sie wirklich persönlich jemanden, der das behauptet? Es mag sie ja geben, aber ich glaube, dass das wirklich nicht viele sind. Na ja, vielleicht so viele wie diejenigen, die behaupten, die Erde sei eine Scheibe.
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