Schon in den 1950er-Jahren gab es Hinweise auf Zusammenhänge zwischen Fettsäuren in der Ernährung und Multipler Sklerose (MS). In den kommenden Jahrzehnten konnte dann aufgedeckt werden, über welche Mechanismen bestimmte Fettsäuren pro- oder anti-inflammatorisch wirken. Weitere Studien konnten belegen, dass die Omega-3-Fettsäuren EPA/DHA Entzündungsmediatoren senken können. Weitere Symptome wie Depression, Schübe oder Stoffwechselparameter konnten laut Studien ebenfalls gebessert werden. 

Historisches

Vor fast 70 Jahren gab es die erste Veröffentlichung über den Zusammenhang zwischen Ernährung und MS. In dieser Arbeit wurde beschrieben, dass die Inzidenz von MS im Inland von Norwegen 6-mal so hoch ist wie an den Küsten. Bei einer genetisch homogenen Population kommen nur Umweltgründe für diesen Unterschied in Frage. Die Inlandsbevölkerung ernährte sich zu einem großen Teil von Fleisch und Milchprodukten, während an der Küste bevorzugt Fische verzehrt wurden. Außerdem wurden epidemiologische Daten präsentiert, die ergaben, dass in Ländern mit einem hohen Konsum an gesättigten Fettsäuren höhere Inzidenzen an MS auftraten [1].

Die Shetland- und die Färöer-Inseln weisen beide eine Bevölkerung dänischen Ursprungs auf. Auf den Shetland-Inseln bevorzugt man eine „englische Diät“ mit viel Rind- und Schaffleisch sowie Milchprodukten, während auf den Färöer-Inseln eine „nordische Kost“ mit einem hohen An- teil an Fischen vorherrscht. Wenig überraschend ist die MS-Inzidenz auf den Shetland-Inseln viel höher als auf den Färöer-Inseln [2].

Zurück zu Swank, dem Autor der ersten erwähnten Studie. Aufgrund seiner Erkenntnisse entwickelte er eine „Swank diet“ mit einem geringen Anteil an gesättigten Fettsäuren, um bei bereits eingetretener MS eine verringerte Progredienz zu erreichen. Die Probanden sollten in ihrer Diät maximal 20 g gesättigte Fettsäuren täglich verzehren. Die Studie hatte eine Laufzeit von 34 Jahren. Von den 150 Probanden gab es mit 6 Aussteigern erstaunlich wenige, die die Studie nicht beendeten. 72 hielten sich an die Empfehlung von weniger als 20 g gesättigte Fettsäuren, 72 taten dies nicht. Die Probanden wurden bezüglich des Grades ihrer Behinderung auf einer 7-teiligen Skala eingeteilt, wobei 0 überhaupt keine Behinderung, 4 Roll- stuhl und 6 Tod bedeutete. Diejenigen, die zu Beginn mit Grad 1 eine leichte Behinderung aufwiesen und sich an die Diätanweisungen hielten, hatten am Ende mit 1,9 immer noch relativ leichte Behinderungen. 68 der 72 Probanden lebten noch und waren überwiegend körperlich aktiv. Die Zufuhr an gesättigten Fettsäuren betrug durchschnitt- lich 16 g. Die Probanden mit Grad 1 zu Beginn, die sich nicht an die Diätempfehlungen hielten, wiesen am Ende Grad 5,3 auf, nur 14 der 72 Probanden hatten überlebt, die meisten davon waren bettlägerig. Ihre Zufuhr an ge- sättigten Fettsäuren betrug 38 g. Nach dieser Studie entscheiden ganze 22 g gesättigte Fettsäuren Unterschied in der Nahrung über große Unterschiede bei der Lebensqualität, der Progredienz der MS und der Gesamtmortalität. Die Studie wurde als so bedeutsam angesehen, dass sie sogar vom Lancet angenommen wurde [3]. Die Studie ist aus zwei Gründen kaum bekannt geworden: Um diese Zeit kamen die ersten Studien über die Erfolge der Interferone in der Schubvermeidung bei MS heraus. Diätetische Maßnahmen waren also plötzlich nicht mehr interessant. Es bestanden massive ökonomische Interessen, eine Therapie mit 5-stelligen Jahreskosten in den Markt zu pressen. Außerdem wurde Kritik an der Swank-Studie laut, weil die Probanden nicht randomisiert aufgeteilt wurden. Dies war in den 1950er-Jahren aber noch nicht üblich.

Einfluss von Omega-3 auf Entzündung bei MS

50 Patienten mit schubförmiger MS erhielten 1 Jahr lang 4 g Eicosapentaensäure (EPA)/Docosahexaensäure (DHA). Hierunter kam es zu hoch-signifikanten Senkungen (p < 0,001) von TNF-α, IL-1β, IL-6 und nitrooxidativen Metaboliten. Während es bei den Entzündungsmarkern zu auch klinisch relevanten Halbierungen und bei NO zu einer Senkung um etwa ein Drittel kam, blieben die Werte bei den Probanden der Placebogruppe nahezu gleich. Nebenbefundlich war die Schubrate in der Verumgruppe um 16 % geringer als in der Placebogruppe, was aber nicht signifikant war [4].

In einer aktuellen Studie erhielten 53 Patienten mit MS 2000 mg Omega-3 täglich sowie 50 000 IE Vitamin D wöchentlich für 12 Wochen. Patienten unter Omega-3 und Vitamin D erzielten signifikante Verbesserungen im EDSS- Score (Expanded Disability Status Scale). Außerdem verbesserten sich das CRP (–1,7 mg/dl), die totale antioxidative Kapazität (+ 55,4 mmol/l), Glutathion (+ 51,1 µmol/l) und Malondialdehyd (–0,86 µmol/l). Darüber hinaus kam es in der Verumgruppe zu Absenkungen von Insulin, Insulinresistenz und Cholesterin/HDL. Eine nur 12-wöchige Zu- fuhr von Omega-3/Vitamin D führt also bei MS-Patienten bereits zu einer nachweisbaren Verbesserung klinischer Parameter, von antioxidativem und nitrosativem Stress sowie des Zucker- und Lipidstoffwechsels [5].

10 Patienten mit MS erhielten 9,6 g Fischöl täglich, was etwa 2 g EPA/DHA entspricht. Gemessen wurde die Matrixmetalloproteinase-9 (MMP-9), welche neutrophile Granulozyten und Interleukine proinflammatorisch beeinflusst. Nach 3 Monaten kam es zu einer 58 %igen Absenkung. Alle Probanden erfuhren ausnahmslos eine deutliche Absenkung. Die Autoren folgerten daraus, dass Omega-3-Fettsäuren über die MMP-9 als Immunmodulator wirkt und therapeutische Effekte bei MS haben könnte [6].

Beeinflussung  von Symptomen

In dieser Studie wurden 6 g (entsprechend 3 EL Fischöl!) Omega-3-Fettsäuren an depressive MS-Patienten ver- abreicht. Ziel war es, eine mindestens 50 %ige Verbesserung in der Montgomery-Asberg Depression Rating Scale (MADRS) zu erzielen. Nach 3 Monaten gab es nur einen geringen Vorteil (47 vs. 45 %) der Omega-3-Gruppe. Interessant ist aber zu beobachten, dass nach einem Monat wesentlich mehr Omega-3-Patienten eine massive Verbesserung depressiver Symptomatik berichteten. Das heißt, dass depressive MS-Patienten mit Omega-3 viel schneller in eine Remission gelangen. Nebenbefundlich kam es in der Omega-3-Gruppe zu deutlich weniger neuen MS- Symptomen, nämlich nur bei 1 von 21 kam es zu einem neuen Symptom, während dies unter Placebo immerhin bei 8 von 18 der Fall war [7].

In der Health Outcomes and Lifestyle Interventions in a Sample of People with Multiple Sclerosis Study (HOLISM) wurde der Zusammenhang zwischen Depression und Lebensstilfaktoren erforscht. Etwa 2500 MS-Patienten wurden per Internet nach ihren Lebensgewohnheiten und ihrem Befinden gefragt. Es handelt sich also um keine randomisierte, placebokontrollierte Doppelblindstudie, sondern um eine deskriptive Anwendungsbeobachtung der Lebensrealität von MS-Patienten weltweit. Dabei fand sich bei MS-Patienten, die weniger als einmal pro Woche Fisch verzehrten, eine Depressionsrate von 28,2 %, bei solchen mit ein- bis zweimal pro Woche nur noch 19,6 %, und diejenigen, die dreimal oder mehr pro Woche Fisch verzehrten, gaben nur eine Prävalenz von 10,6 % Depression an – von wenig zu viel Fisch bedeutet dies fast zwei Drittel weniger Depression [8].

Anmerkung des Autors: Wegen des Gehalts an Schwer- metallen (z. B. Quecksilber) und lipophilen und neurotoxischen Giften in Fischen empfehle ich MS-Patienten, maximal ein- bis zweimal pro Woche Fisch zu verzehren. Auf Fische, die am Ende der Nahrungskette stehen wie Thun-, Hai- oder Schwertfisch, empfehle ich zu verzichten.

Ich stelle MS-Patienten nach Fettsäureanalyse (mit Vor- her-nachher-Kontrolle) auf einen AA/EPA-Quotienten von unter 2,5 ein. Dafür benötigen die meisten 2–3 g EPA/DHA eines schadstoffkontrollierten Fischöls.

Was ist mit Leinöl?

Immer wieder wird auf vegetarischen/veganen Internetseiten darauf hingewiesen, dass die Zufuhr von Leinöl absolut ausreiche, um den Bedarf an Omega-3 zu decken. Dabei wird völlig übersehen, dass die Alpha-Linolensäure (ALA) aus Leinöl lediglich als Brennstoff dient. Zwar können daraus auch theoretisch EPA und DHA als Derivate gebildet werden, was aber in ungenügender Menge stattfindet. Allein aus EPA und DHA werden antiinflammatorische Prostaglandine, Leukotriene, Protectine, Maresine und Resolvine gebildet.

In einer Studie erhielten 73 Versuchspersonen 15 ml Lein- oder Olivenöl für 6 Wochen (entsprechend ca. 7 g der Omega-3-Fettsäure ALA). Bezüglich Adiponectin, TNF-α, hsCRP oder Glukose gab es keine Änderungen. Lediglich Cholesterin (5 %) und LDL (6,7 %) wurden unter Leinöl leicht gesenkt [9].

Die wichtigste Fettsäure im ZNS ist DHA. Die zweitwichtigste Fettsäure ist die AA (diese fördert zwar Entzündungen, aber in einem gewissen Maße brauchen wir auch diese). EPA und ALA spielen mengenmäßig im ZNS aber praktisch keine Rolle. Wenn wir bei einer neurodegenerativen Erkrankung wie der MS die Neuroregeneration unterstützen wollen, benötigen wir in erster Linie DHA [10].

Können wir also aus Leinöl tatsächlich das dringend für das ZNS benötigte DHA bilden? In einer neuen Studie erhielten gesunde Versuchspersonen 12 Wochen lang täglich 22,3 g Leinöl (= knapp 3 EL!) mit einem ALA-Gehalt von 58 %. Hie- runter kam es zu einem deutlichen Anstieg von ALA und zu einem leichten Anstieg von EPA, aber sogar zu einem Abfall von DHA um 25 % [11].

Gibt es irgendeine klinische Studie zu ALA und MS? Wenn man bei Eingabe des Bool‘schen Algorithmus (flaxseed OR linseed OR chia OR alpha linoleic) AND (multiple sclerosis OR MS) bei PubMed nach klinischen Studien hierzu sucht, findet man keine einzige Studie über ALA, Leinöl oder Chia und MS.

Fazit: Nur EPA/DHA, nicht aber ALA allein ist bei MS sinnvoll

Aufgrund der aktuellen Studienlage ist es sinnvoll, bei MS EPA zuzuführen, um eine Minderung der Entzündung zu erreichen. DHA wird strukturell für die Nervenzellen und deren Regeneration benötigt. ALA führt zu einer geringen Steigerung von EPA, aber nicht von DHA.

In meinem praktischen Alltag führe ich bei allen MS-Patienten (neben anderen Parametern) eine ausführliche Fettsäureanalyse durch. Anhand der Konzentrationen von ALA, EPA, DHA und dem AA/EPA-Quotienten kann ich unter Berücksichtigung der Ernährung und des Körpergewichts ziemlich genau abschätzen, welche Mengen an welchen Ölen ich benötige, um optimale Werte (z. B. einen AA/EPA-Quotienten < 2,5) zu erzielen.

Bei den meisten Patienten benötige ich dafür 2 g EPA/DHA (z. B. in 1 EL eines qualitativ guten Fischöls oder 1 TL eines Algenöls). Mitunter werden aber auch 3 oder 4 g benötigt. Eine gleichzeitige Zufuhr von maximal 1–2 Portio- nen eines fetten Seefischs ist wohl sinnvoll, mehr sollte es aber wegen der Toxinbelastung nicht sein und schon gar nicht große Fische am Ende der Nahrungskette. Darüber hinaus rate ich den Patienten zur zusätzlichen Zufuhr von 1 EL Leinöl. Dies sollte komplementär zu einem maritimen Omega-3-Öl, nicht aber alternativ erfolgen. Eingebunden in ein ganzheitliches Therapiekonzept von MS ist eine solche Fettsäuretherapie eine tragende Säule, auf die ich bei MS nicht mehr verzichten möchte.

Quelle: Multiple Sklerose und Fettsäuren – historischer und aktueller Studienstand – Erfahrungsheilkunde 2019; 68(04): 190-193

Literatur

[1] Swank RL. Multiple sclerosis: A correlation of its incidence with dietary fat. Am J Med Sci 1950; 220: 421–430
[2] Bernsohn J, Stephanides LM. Aetiology of multiple Nature 1967; 215 (5103): 821–823
[3] Swank RL, Dugan BB. Effect of low saturated fat diet in early and late cases of multiple sclerosis. Lancet 1990; 336: 37–39
[4] Ramirez-Ramirez V, Macias-Islas MA, Ortiz GG. Efficacy of  fish oil on serum of TNF α , IL-1 β , and IL-6 oxidative stress markers in multiple sclerosis treated with interferon beta-1b. Oxid Med Cell Longev 2013; doi: 10.1155/2013/709493
[5] Kouchaki E, Afarini M, Abolhassani J et al. High-dose ω-3 fatty acid plus vitamin D3 supplementation affects clinical symptoms and metabolic status of patients with multiple sclerosis: A randomized controlled clinical trial. J Nutr 2018; 148(8): 1380–1386
[6] Shinto L, Marracci G, Baldauf-Wagner S et al. Omega-3 fatty acid supplementation decreases matrix metalloproteinase-9 production in relapsing-remitting multiple sclerosis. Prostaglandins Leukot Essent Fatty Acids 2009; 80(2–3): 131–136
[7] Shinto L, Marracci G, Mohr DC et al. Omega-3 fatty acids for depression in multiple sclerosis: A randomized pilot study
[8] Taylor KL, Hadgkiss EJ, Jelinek GA et al. Lifestyle factors, de- mographics and medications associated with depression risk in an international sample of people with multiple sclerosis BMC Psychiatry 2014; doi: 10.1186/s12888-014-0327
[9] Kontogianni MD, Vlassopoulos A, Gatzieva A et al. Flaxseed oil does not affect inflammatory markers and lipid profile compared to olive oil, in young, healthy, normal weight adults. Metabolism 2013; 62(5): 686–693
[10] Crawford MA, Costeloe K, Ghebremeskel K et al. Are deficits of arachidonic and docosahexaenoic acids responsible for the neural and vascular complications of preterm babies? Am J Clin Nutr 1997; 66(4 Suppl): 1032S–1041S
[11] Greupner T, Kutzner L, Nolte F et al. Effects of a 12-week high-α-linolenic acid intervention on EPA and DHA concen- trations in red blood cells and plasma oxylipin pattern in subjects with a low EPA and DHA status. Food Funct 2018; 9(3): 1587–1600