Gibt es Zusammenhänge zwischen Vitamin D-Mangel und Herzschwäche?

Wir wissen heute sehr genau, über welche Mechanismen Vitamin D bei chronischer Herzschwäche wirkt: Es ist ein natürlicher Aldosteron- und Renin-Antagonist. Genau solche Medikamente werden heute bei Patienten mit Herzschwäche eingesetzt. Dass ein Kardiologe seinen Patienten Vitamin D bei dieser die Lebensqualität und die Lebenserwartung stark beeinträchtigenden Erkrankung verschrieben hätte, habe ich bisher praktisch nicht beobachtet. In epidemiologischen Studien konnten Zusammenhänge zwischen Vitamin D-Mangel und Herzinschwäche gefunden werden. In einzelnen klinischen Studien konnten Verbesserungen von Herzfunktion und Laborparametern wie NT-pro-BNP gefunden werden. Unter Vitamin D gibt es weniger tödliches und nicht-tödliches akutes Herzversagen. Die Datenlage scheint also klar zu sein.

Studienlage

Erstaunlich: Die einzige Meta-Analyse zur Thematik verlief allerdings negativ. Meta-Analysen sind heute der Goldstandard der so genannten evidenzbasierten Medizin, also der beweisgestützten Medizin. Meta-Analysen fassen mehrere gleichartige Studien zusammen. Wenn von 10 Studien 7 positiv, 2 neutral und 1 negativ verlaufen, dann spricht das doch für die Wirksamkeit der untersuchten Methode. Hätte man sich nur die neutralen oder die negative Studie angesehen, käme man zu einer anderen Erkenntnis. Die besagte Meta-Analyse wird ausführlich analysiert und erklärt, warum sie negativ verlaufen musste und wie man mit Vitamin D therapiert, um einen Nutzen für den Herzmuskel zu erreichen. Diese Meta-Analyse stellt damit gleichzeitig die „Studie des Monats“ dar – auch wenn ich persönlich die Schlussfolgerungen fatal finde (1).

Ich beginne gleich mit dem Ergebnis der Meta-Analyse: Die Autoren folgern aus ihren Daten, dass Vitamin D, die linksventrikuläre Ejektionsfraktion nicht verbessert. Diese gibt an, wie viel des Blutes in der linken Kammer mit einem Herzschlag in den Kreislauf gebracht wird. Sie ist ein kardiologisch anerkannter Messwert sowohl in der individuellen Beurteilung der Herzkraft von Patienten als auch ein Studien zur Herzschwäche oft verwendeter Parameter. Wie kommen die Forscher zu Ihrer ablehnenden Meinung gegenüber dem Vitamin D? Sie haben einfach alle verfügbaren Studien hierzu gesammelt und dann zusammengefasst. Eine solche Zusammenfassung sieht dann so aus:

Jeder Strich stellt eine Studie dar. Der Punkt im Strich ist der Mittelwert. Ist die Linie rechts von der vertikalen Nulllinie, so wurde eine Verbesserung der Herzleistung angezeigt. Schneidet die Linie hingegen die Nulllinie, so fand sich kein signifikanter Effekt. Die Raute spiegelt den Durchschnitt der 4 Studien wieder. Man erkennt zwar eine Tendenz zu einer positiven Wirkung, aber da die Raute Nulllinie gerade noch berührt, wurde die statistische Signifikanz knapp verfehlt, was dann in einem vernichtenden Urteil der Autoren gegenüber Vitamin D bei Herzschwäche zum Ausdruck kommt.

Ich finde das Ergebnis schon recht bemerkenswert. 2 Studien zeigen einen sehr klaren Nutzen, eine Studie zeigt einen tendenziellen Nutzen, eine Studie ist negativ. Machen wir uns doch mal die Mühe, die einzelnen Studien unter die Lupe zu nehmen. Die erste Studie (2) untersuchte 36 Patienten. 18 davon nehmen 6 Monate täglich 4000 IE Vitamin D ein, 18 erhielten Placebo. Obwohl die Probandenzahl recht klein ist, wurden hochsignifikante Ergebnisse erzielt, weil die Versuchsdauer lang genug war und mit 4000 IE auch eine ordentliche Dosis gewählt wurde. Es wurden auch nur solche Patienten in die Studie aufgenommen, die keine guten Vitamin D-Spiegel aufwiesen. Auch das ist nicht unwichtig, denn wenn ich optimal versorgte Probanden untersuche, dann kann ich mit mehr Vitamin D eben auch nicht mehr Effekte erzielen. Die Ergebnisse auf die Ejektionsfraktion sind dabei wirklich beeindruckend. Während es in der Vitamin D-Gruppe zu einer Verbesserung um 6,7 % kam, verschlechterte sich die Verumgruppe um 4,3 %. Das hört sich recht wenig an, aber wenn ich weiß, dass die normale Ejektionsfraktion bei 55-60 % liegt, dann kann ein Unterschied von 11 % bedeuten, ob jemand noch aus eigener Kraft eine Treppe steigen kann oder eben nicht. Nebenbei: Ein hormoneller Marker für Herzschwäche (PIP) blieb unter Vitamin D stabil, während er sich unter Placebo deutlich verschlechterte. Der systolische Blutdruck sank unter Vitamin D um 6 mmHg, unter Placebo nicht.

In der nächsten Studie (3) wurden sogar 64 Patienten aufgenommen, sie lief auch 6 Monate, es wurden auch Patienten mit sehr guten Vitamin D-Spiegeln ausgeschlossen. Mit 50.000 IE pro Woche wurde sogar noch eine viel höhere Dosis gewählt (umgerechnet mehr als 7000 IE am Tag). Es wurde aber nur eine leichte, nicht signifikante Verbesserung gefunden. Wie kann das sein? Der Denkfehler ist die wöchentliche Gabe. Wir brauchen täglich (oder fast täglich) Vitamin D. Das Vitamin D (als Calcidiol im Blut nach Aufnahme über die Nahrung, Medikamente oder durch die Sonne) hat nämlich eine Halbwertszeit von nur einem Tag. Nach einem Tag, haben wir also nur noch die Hälfte, nach zwei Tagen ein Viertel usw. Nach einer Woche ist praktisch nichts mehr da. Im Blut wird aber das Speichervitamin D gemessen. Darauf kann die Herzmuskelzelle aber nicht zurückgreifen, nur der Knochen. Trotz hoher Vitamin D-Spiegel im Blut bleibt die Zelle also im Mangel. Schaut man sich die „negativen Studien“ (auch bei anderen Krankheiten) einmal an, so findet man fast immer wöchentliche, mitunter sogar nur monatliche Gaben. Diese Studien funktionieren nicht, weil sie schon vom Ansatz her falsch angelegt sind. Leider sehe ich immer noch, dass viele Patienten wöchentliche Gaben bekommen, dabei teilweise sogar gute Blutspiegel haben – aber keine Verbesserung ihrer Krankheit.

In der nächsten Studie (4) wurden 80 Patienten mit angeborener Herzmuskelschwäche mit Vitamin D oder Placebo behandelt. Mit einer Ejektionsfraktion von unter 40 % wurden hier sogar nur fortgeschrittene Herzschwächen berücksichtigt. Die Studiendauer lag mit 3 Monaten am untersten Limit dessen, was ich für sinnvoll halte. Die Ergebnisse waren dennoch beeindruckend. Es kam nicht nur zur signifikanten Verbesserung der Herzleistung, auch mehrere Entzündungsparameter sanken deutlich ab. Als ich auf die eingesetzte Dosierung sah, erschrak ich allerdings: Mit einer Dosis von nur 1000 IE hätte ich mir niemals eine Wirkung erhofft. Doch da zeigt sich wieder, dass man eine Studie eben genau lesen muss. Es handelte sich bei Patienten um Babys, die weniger als ein Jahr waren, für die 1000 IE eben auch eine vernünftige Dosis darstellte.

Die letzte Studie verlief wiederum negativ (5). Hier wurden 123 ältere Menschen mit Herzschwäche eingeschlossen. Die Studie lief mit 9 Monaten sogar länger als die anderen. Trotzdem wurde bezüglich Ejektionsfraktion, Überleben und anderer Herzparameter keinerlei Verbesserung unter Vitamin D gesehen. Lediglich einige Entzündungsparameter waren unter Vitamin D besser. Warum war das so? Die Studie stammt aus dem Jahre 2006. Erst in den letzten Jahren hat sich unter Vitamin D-Anwendern die alte paracelsische Maxime „die Dosis macht`s“ herumgesprochen. Es wurden nämlich nur 2000 IE eingesetzt. Damit komme ich bei meinen Patienten fast nie auf einen Blutlevel, von dem ich mir günstige Effekte erwarte. Was würden Kardiologen sagen, wenn wir ihnen eine Blutdruckstudie zeigten, die negativ verlief, bei der wir aber nur eine Mini-Dosis eines blutdrucksenkenden Medikaments eingesetzt hätten?

Was würden sie erwidern, wenn wie ihnen eine Blutdruckstudie vorlegten, bei der die gesamte Medikamentenmenge einmal in der Woche genommen werden sollte? Sie würden uns nicht erstnehmen – und das mit Recht. Und das sollten wir mit dieser Meta-Analyse auch nicht tun. Jeder Patient mit einem schwachen Herz sollte Vitamin D bekommen – am besten nach Messung und Blut und mit Kontrollmessung nach 3 Monaten sowie Optimierung auf einen Spiegel von 40-60 ng/ml oder 100-150 mmol/l.

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aufgeschnappt und kommentiert – aufgeschnappt und kommentiert

Vitamin D hilft nicht bei Herzschwäche!?

Dr. med. Quintus Querulantius meint dazu: Die evidenzbasierte Medizin ist heute das Maß aller Dinge in der Medizin. Nur die Verfahren, die den harten Selektionsprozess nicht nur einer, sondern gleich mehrerer Studien überstehen, werden in den erlauchten Kreis der anerkannten Therapieverfahren aufgenommen. Das Vitamin D hat sich in der oben erwähnten Meta-Analyse eigentlich recht wacker geschlagen. Das Signifikanzniveau wurde nur haarscharf verfehlt. Aber: Knapp vorbei, ist auch daneben. Da hat das arme Vitamin D eben Pech gehabt.

Nein, das Vitamin D hat kein Pech gehabt. Ihm kann es egal sein, ob es nun auch noch bei Herzschwäche eingesetzt wird oder nicht. Die positiven Resultate bei unterschiedlichsten Erkrankungen überschlagen sich in den letzten Jahren, so dass das Vitamin D mehr als genug zu tun hat.

Pech gehabt haben jedoch die armen Patienten mit Herzschwäche, denen man eine nebenwirkungsfreie und segensreiche Therapie „wissenschaftlich fundiert“ vorenthält und damit eine subjektive Verschlechterung des Befindens und eine verringerte Lebenserwartung billigend in Kauf nimmt. Das ist ein Skandal.

Wäre die Anzahl der Versuchspersonen in den Studien nur etwas größer gewesen, dann wären die Linien in der obigen Graphik kürzer geworden, die statistische Signifikanz wäre dann erreicht worden. Aber wie hat der ehemalige Fußballspieler Matthäus („unser Loddar“) kürzlich so treffend festgestellt: „Wäre, wäre, Fahrradkette.“ Wie wahr!

Aber wir brauchen gar nicht einmal über das statistische Pech der „kleinen Zahl“ zu lamentieren. Wir müssen nur das Zitat zu Beginn des Newsletter beherzigen: Sapere aude oder weise sein oder die kleinen grauen Zellen anstrengen oder den gesunden Menschenverstand benutzen. Eine Meta-Analyse ist immer nur so gut wie die einzelnen, eingeschlossenen Studien.

Den Wissenschaftlern der Meta-Analyse hätte ich wie Aschenputtel ein paar hilfreiche Tauben gewünscht: „Ja, die schlechten ins Kröpfchen, die guten ins Töpfchen.“ Wenn dann die qualitativ guten Studien positive Resultate erbringen und die Studien mit negativen Resultaten methodologisch schwachsinnig angelegt sind, dann weiß ich eine solche Meta-Analyse doch ganz anders einzuschätzen. Um zu einer solchen Konsequenz zu gelangen, müsste man aber eine nicht ganz bequeme Tätigkeit aufnehmen – man müsste selber nachdenken. Das ist der zweite Skandal: Wissenschaftler analysieren heute oft nur noch nach festgelegten Regeln der Statistik riesige Datenmengen, kommen dabei auch zu mathematisch korrekten Ergebnissen, machen sich aber keine Gedanken mehr darüber, ob die Studie methodologisch überhaupt sinnhaft angelegt war. Und um den Skandal fortzusetzen: Die Ärzte, die solche Studien und Meta-Analysen lesen, verfügen in aller Regel über nicht mehr wissenschaftliches Verständnis als „p < 0,05, wirkt, p > 0,05, wirkt nicht“. Sapere aude!

Und nun kommt der dritte Skandal. Die Wissenschaft ist heute praktisch eine Industrie geworden, die Publikationen in (möglichst hochrangigen) Journalen produzieren muss. Je mehr Studien oder Meta-Analysen jemand produziert hat, je öfter jemand in anderen Publikationen zitiert wird, umso größere ist sein Reputation. Nicht, ob er eine originelle oder bahnbrechende neue Erkenntnis gewonnen hat, ist wichtig, sondern der impact factor ist das goldene Lamm der Wissenschaft geworden. Und so ist es kein Wunder, dass es immer weniger Wissenschaftler gibt, die sich in einem kreativen Prozess komplexe Studien ausdenken, die sie in jahrelanger, mühevoller Kleinarbeit auch durchführen (zum Glück gibt es immer noch solche!), sondern es gibt immer mehr Akademiker in ihren Elfenbeintürmen (dafür bedarf es heute nur noch eines Zimmers mit einem Laptop und einen Internetanschluss), die schmarotzerhaft einfach die Ergebnisse fremder Studien sammeln und daraus eigene große Meta-Analysen zusammenköcheln. Damit wir uns richtig verstehen: Wenn dies mit Sinn und Verstand geschieht, dann kann auch daraus ein Erkenntnisgewinn entstehen und Meta-Analysen sind daher überhaupt nicht prinzipiell abzulehnen – eben nur schlechte. Aber wenn Meta-Analysen von manchen Wissenschaftlern am Fließband produziert werden, dann sollte man schon mal kritisch werden.

Und ich will jetzt nicht rassistisch werden, aber es ist schon auffällig, dass China nicht nur ökonomisch und politisch immer mehr an Einfluss gewinnt, sondern auch wissenschaftlich die amerikanische Dominanz mehr und mehr ablöst. So ist es vielleicht kein Zufall, dass diese Meta-Analyse aus der Feder chinesischer Autoren stammt. Auch in China gibt es kluge Köpfe. Auch denen möchte ich „sapere aude“ zurufen, damit uns solche Meta-Analysen erspart bleiben, die Ärzte davon abhalten, ihren Patienten sinnvolle und hilfreiche Methoden und Medikamente zuteilwerden zu lassen.

Ich messe jedenfalls bei all meinen Patienten, die auf dem Herzen schwächeln, weiterhin das Vitamin D (neben Omega-3, Kalium, Magnesium und Q10, die alle meist ebenfalls nicht optimal sind), optimiere die Spiegel und sehe dabei meist massive subjektive und objektive Verbesserungen. Also: Sapere aude!

Ihr Dr. med. Quintus Querulantius

P.S.: Da fällt mir doch noch ein Zitat ein, welches ganz gut hierher passt:

„Zwei Dinge sind unendlich, das Universum und die menschliche Dummheit, aber bei dem Universum bin ich mir noch nicht ganz sicher.“
Albert Einstein

aufgeschnappt und kommentiert – aufgeschnappt und kommentiert

Literaturliste – für alle, die wissenschaftlich tiefer bohren und die wissenschaftlichen Quellen erkunden möchten, unter http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed können Sie die Abstracts (in Englisch) nachlesen und manchmal auch Links zu den Originalarbeiten finden:
  1. Jiang WLGu HBZhang YFXia QQQi J, Chen JC: Vitamin D Supplementation in the Treatment of Chronic Heart Failure: A Meta-analysis of Randomized Controlled Trials. Clin Cardiol. 2016 Jan;39(1):56-61. doi: 10.1002/clc.22473. Epub 2015 Sep 28.
  2. Dalbeni A, Scaturro G, Degan M, et al. Effects of six months of vitamin D supplementation in patients with heart failure: a randomized double-blind controlled trial. Nutr Metab Cardiovasc Dis. 2014;24:861–868.
  3. Boxer RS, Hoit BD, Schmotzer BJ, et al. The effect of vitamin D on aldosterone and health status in patients with heart failure. J Card Fail. 2014;20:334–342.
  4. Shedeed SA. Vitamin D supplementation in infants with chronic congestive heart failure. Pediatr Cardiol.2012;33:713–719.
  5. Schleithoff SS, Zittermann A, Tenderich G, et al. Vitamin D supplementation improves cytokine profiles in patients with congestive heart failure: a double-blind, randomized, placebo-controlled trial. Am J Clin Nutr. 2006;83:754759.